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Engpass

Engpass

Titel: Engpass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Diechler
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jeden Fall vornehmen. Aber zuerst muss sie sich Bergschuhe besorgen.

     
    Der Verkäufer im Sportgeschäft in Unterwössen legt ihr die Rechnung neben die Tüte. »Für Sie zehn Prozent Skonto, Frau …?«
    »Wegener«, gibt Elsa an.
    »Fürs Wiederkommen, Frau Wegener.«
    »Danke«, murmelt sie.
    »Wollen S’ sich unsere schöne Gegend a bisserl näher anschaun?«
    »So ist es«, nickt Elsa. »Den Taubensee, schaffen den auch Ungeübte?«
    »Freilich! Wenn S’ da hin wollen, dann schaffen S’ des a.«
    Elsa nickt ein zweites Mal, greift nach der Tüte und will gehen.
    »Bei uns, im Achental, herrscht bioklimatisch g’sehn a Reizklima. Alloa durch die Muldenlage von unserm Tal is des abg’mildert. Wegen der allseitigen Bergumrahmung. Verstehen S’? Die bietet Windschutz. Die Muldenlage, moan i. Sie san die meiste Zeit über in Traunstein, hert ma.«
    Elsa schafft es zu nicken.
    »Wos i eigentlich sagen wui, is Folgendes. Des Reizklima, von dem i red …« Der Mann macht eine Pause und wiegt seinen Kopf näher an Elsas heran. »Des bezieht sich net nur aufs Wetter. Wenn S’ verstehn, wos i moan.«
    »Sondern?«, hakt Elsa nach.
    »Des bezieht sich auf die Menschen, die hier leben.« Erneutes Schweigen. Aber nur kurz. »Unterwössen nennt ma a …« Schon wieder legt der Mann eine Pause ein. Diesmal eine bewusst gewählte. »… Das Selbstmörder-Dorf.« Wenn der Schuhverkäufer mit einer Reaktion
Elsas gerechnet hat, dann lässt er sich seine Ent-täuschung über ihren gleichbleibenden Gesichtsausdruck
zumindest nicht anmerken.
    »Sechs Menschen ham sich in den letzten 20 Joar um’bracht. Vier gehn alloa aufs Konto oaner oanzigen Familie. I möchte koane Namen nenna.« Er hebt unschuldig die Hände. »Oana hat si aufg’hängt, weil er Männer liebte. Mit dem Ergebnis, dass si seine Frau vor den Regionalzug schmeißt. Stellen S’ sich des amoi vor. Unappetitlich. Der Lokführer hat an Zusammenbruch erlitten und den Dienst quittiert. Hinterher. Damit net g’nug. Die Schwester von dem Schwulen hat nix Bessers zum doa, als sich die Autoabgase ihres BMW in d’ Lunge zu pumpen. Reicht’s fürs Erste?«
    Elsa hat sich alles in Ruhe angehört. Noch immer ist an ihrem Gesicht nichts abzulesen.
    »Wega der beiden Mordfälle. Dem alten und dem
neuen. Deswegen san Sie in Traunstein, oder etwa net?«
    Elsa wendet sich zum Gehen. Sie weiß, was jetzt kommt. Man hat eine Geschichte präsentiert, um das nötige Gesprächsklima zu schaffen. Jetzt erhofft man sich Neuigkeiten von ihr. Die Preisgabe spannender, ergötzender Details. Ein bisschen Abwechslung vom faden Durchschnittsalltag.
    »Danke für die Wetterwarnung und für den Rest. Tut mir leid, dass die Menschen sich hier mit dem Leben derart schwertun. Aber weder Silke Maihauser noch Aurelia Bramlitz haben sich Gewalt angetan. Hier geht es um Mord.«
    »Dann is unser Dorf net nur a Selbstmörder-Dorf, sondern …?« Der Mann schweigt betroffen.
    Elsa greift ein. »Hüten Sie sich vor emotional aufgeladenen Vorverurteilungen. Woher der oder die Mörder stammen, liegt noch im Dunkeln. Aber jetzt muss ich wirklich gehen.« Sie nutzt die Chance. »Schönen Tag noch«, sagt sie und verlässt das Geschäft. Atmet auf, als sie draußen ist. Inzwischen hat der Regen aufgehört. Sanfte Sonnenstrahlen brechen durch die Wolkendecke. Zwei kleine blaue Himmelslöcher gibt es bereits. Gute Aussichten für ihre morgigen Pläne.
    Gleich in der Früh wird sie aufbrechen. Vor dem Zollamt wird sie links zum Achberg abbiegen. Danach der Forststraße folgen, die rechts zum Streichen abzweigt. Vorbei an der Heider-Alm und der Chiemhauser-Alm. Bei der Streichenkirche, die mit einem Kunstkleinod aus dem 14. Jahrhundert aufwarten kann, wird sie eine Pause einlegen, danach den Gebirgssattel schaffen müssen, den Ben erwähnte. Der berühmte Kroatensteig. Elsa hat die Karte aufmerksam studiert. Sie überlässt nichts dem Zufall.

10. Kapitel
    Den ganzen Tag über läuft Degenwald ihr nicht mehr über den Weg. Auch per Handy keine Nachricht von ihm. Der Abend ist für ein Gespräch mit Anna reserviert. Als Elsa nach Hause kommt und in den ersten Stock hinaufgeht, blickt sie auf Annas geschlossene Zimmertür und einen Zettel: ›Sorry! Reden geht momentan nicht.‹
    Sie entscheidet sich, den Willen ihrer Tochter zu respektieren. Was bleibt ihr auch übrig? Druck erzeugen wäre der falsche Weg. Auch wenn Reden für Anna erleichternd wäre, findet Elsa. Sie hofft, dass Beate ihre

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