Engpass
Elsa den Teufel an die Wand. Das Herz schlägt ihr bis zum Hals. Mit allem war zu rechnen. Damit nicht.
»Und was möchten Sie nun von mir?«, fragt Lydia ins Telefon. Degenwald spricht eine Weile. Lydia hört still zu, nickt hier und da. Sonst nichts.
»Selbstverständlich, das erledige ich sofort.« Lydia verabschiedet sich von Degenwald und beendet das Gespräch. Sie schaut Elsa an.
»Stört es Sie, wenn Sie allein im Haus bleiben? Ich muss kurz weg. In einer Viertelstunde wäre ich allerdings wieder da.«
Elsa spürt, wie die Spannung in ihr nachlässt. »Ich ziehe die Tür hinter mir zu, wenn ich fertig bin«, meint sie. »Machen Sie sich meinetwegen keine Gedanken.«
Lydia hat sich eine Jacke übergezogen und nickt. »Auf Wiedersehen, Frau Wegener«, sagt sie und verlässt das Haus.
Elsa bleibt allein zurück. Draußen fallen die ersten Blätter von den Bäumen. Der Sturm leistet ganze Arbeit. Einen Moment gönnt sie sich, um die Fassung wiederzufinden. Dann öffnet sie die erste Tür, die sich ihr bietet. Sie hat keine Zeit zu verlieren.
Elsa durchsucht alle Schränke, Schubladen, kleine und große Schachteln, Koffer. Sie gräbt sich durch Aktenordner, blättert Papier für Papier um und überfliegt querlesend deren Inhalt. Fotos und Dokumente kommen zum Schluss dran. Für Feinheiten, das weiß sie, bleibt keine Zeit. Sie muss dem Himmel danken, dass sie eine Chance wie diese zugespielt bekommen hat. Allein in Degenwalds Haus. Zugang zu allen Zimmern. Paradiesische Zustände für jeden Ermittler. Alles, was Elsa findet, bleibt gewöhnlich. Nichts, das sie alarmiert, stutzig macht. Sie verschließt eine Schachtel mit privaten Fotos, darunter auch welche von Silke und Karl. Auf den Bildern ist nichts Spezielles zu entdecken. Elsa stellt die Schachtel zurück und hält kurz inne. Wenn Degenwald etwas versteckt hat, etwas Brisantes, wo könnte das sein?
Sie hastet die Treppe hinunter, zurück ins Erdgeschoss. Zum Garten hinaus liegt Degenwalds Schlafzimmer. Dort hat sie bisher nur flüchtig nachgesehen. Erneut durchsucht sie den begehbaren Kleiderschrank, die Kommode mit den Vinylplatten und den DVDs, den Nachttisch mit der Brillensammlung, dem Notizblock und alten beschriebenen Zetteln. Vor dem Regal mit den Büchern bleibt Elsa stehen. Sie überfliegt einige Titel. Als sie ein Buch herausnimmt, das ganz vorn platziert ist, entdeckt sie ein ungewöhnliches Lesezeichen im ersten Drittel des Taschenbuchs. Ein Hinweis, den sie fast übersehen hätte. Auf einem zusammengefalteten Stück Papier teilt Silke ihrem Liebhaber, Karl Degenwald, mit, dass sie schwanger ist. Vermutlich von ihm. Elsa atmet laut auf. Das haut sie um. Mit einer Nachricht dieses Kalibers hat sie nicht gerechnet. Sie sucht den Zettel auf der Vor- und Rückseite ab. Kein Hinweis auf ein Datum. Egal. Die Nachricht steht für sich. Wenn Silke Maihauser kurz vor ihrem Tod von Karl Degenwald schwanger war, dann wollte der sicher, dass sie sich von ihrem Mann trennt. Einer wie Degenwald schaut nicht zu, wie sein Kind bei einem wie Fred Maihauser aufwächst. Wenn das kein Motiv ist, dann weiß Elsa auch nicht. Aus der Pathologie hat sie nichts über eine Schwangerschaft erfahren. Vielleicht hatte Silke das Kind verloren oder abgetrieben? Vielleicht waren Karl und sie über die Tatsache, was ihre Schwangerschaft für ihre Beziehung bedeuten konnte, in Streit geraten. Derartig in Streit geraten, dass Karl Degenwald seine Geliebte getötet hatte. Erwürgt. In Elsa stritten alle möglichen Gedanken darum, wahrgenommen zu werden.
Warum deponiert ihr Kollege einen Brief seiner ehemaligen Geliebten in einem Buch? Elsa blickt auf den Titel: ›Verdrängungsmechanismen und ihre Folgen‹. Sie atmet erneut laut auf. Gleichzeitig rollt in ihrem Inneren eine Welle aus Entsetzen heran. Karl Degenwald, promovierter Jurist und Hauptkommissar der Kripo Traunstein, war in einen Mord verwickelt.
»Gratuliere, Elsa Wegener«, sagt sie laut. »Dein Gespür hat dich nicht im Stich gelassen.« Kaum hat sie den Satz ausgesprochen, geht die Haustür. Lydia Schranz ist zurück. Hastig stopft Elsa das Buch zurück. Ohne Aktenordner unterm Arm kommt sie der Haushaltshilfe entgegen. Die perfekte Antwort hat sie parat.
»Ich habe Karl alle Einzelheiten per Telefon durchgegeben. Die Akte wird also nicht mehr in Traunstein gebraucht. Am Abend will er ohnehin noch mal in Ruhe hineinlesen. Im Büro fehlt momentan die Zeit dazu.«
»Wenn jemand in Unterwössen jemals was
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