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Engpass

Engpass

Titel: Engpass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Diechler
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ihr Knöchel wie ein Hefeteig aufgehen. Die Nacht im Gebirge ist ihr sicher. Ohne Decke, dafür mit Sonnenhut. Erneut lacht Elsa auf. Eine Spur hysterisch. Sie spürt mit einem Mal die ganze Last der Erschöpfung. Entdeckt gravierende Mängel an der eigenen Seele. Die Städterin hat sich zu viel zugemutet.
    Sie lässt sich auf etwas Weiches gleiten. Lautlos und unfreiwillig bedrängen sie die Tränen. Entsetzt kämpft sie dagegen an. Weinen ist das Letzte, was sie will. Minutenlang sitzt sie da. Ohne etwas zu tun. Sitzen. Gar nicht übel, bemerkt sie plötzlich.
    Dann beginnt sie zu sprechen. Einen Ansprechpartner gibt es nicht. Oder doch? Sie selbst hört sich zu. Aufmerksam. Sprechen, anstatt die Hoffnungslosigkeit ihrer Situation anzunehmen. »Nicht übel«, kommentiert Elsa. Reden kann sie. Darin ist sie Meisterin. Vielfach erprobt.
    Sie erzählt sich die Geschichte, die sie gerade erlebt. Nur mit anderen Vorzeichen. Von einer Frau, die niemals aufgibt, ist darin die Rede. Von Reserven, die man im letzten Moment anzapfen kann. Vom Genie des Gehirns, das immer einen Ausweg zeigt. Auch wenn noch keiner erkennbar ist. Elsa redet und redet. Leise und bedächtig. Emotional und funkelnd. Brillant und stümperhaft. Hauptsache nicht aufhören. Nur keine Stille. Laut referiert sie weiter. Nach einer Weile murmelt sie nur noch, redet sich in eine seltsam entrückte Ruhe hinein, die noch nicht die ihre ist, aber vermutlich bald sein wird.
    Sie weiß nicht, wie viel Zeit tatsächlich vergangen ist, denn es spielt keine Rolle. Unmerklich beginnt sie sich mit der Person in ihrer Erzählung zu identifizieren. Diese Elsa, von der sie da hört, die bewundert sie. Eine famose Person. Mit der müsste man tauschen können. Ihr Ich annehmen.
    Dann ein erneuter Gedanke. Elsa erinnert sich, dass es im Leben ein Phänomen gibt. Die Angleichung an eine subjektiv erlebte Wirklichkeit. Oder eine erdachte. Wenn ein Mensch lange genug – gedanklich – von etwas überzeugt ist, beginnt sich diese Überzeugung in seinem realen Leben zu manifestieren. Selbsterfüllende Prophezeiung. Sie hat lange genug Untersuchungen, Berichte und Versuche zu diesem Thema studiert. Während ihrer Ausbildung und danach. Aus purem Interesse. Elsa weiß, dass sie jetzt die einmalige Chance hat, diese Dinge zu überprüfen. Zumindest ansatzweise. Warum nicht leblose Theorie durch gelebte Wirklichkeit ersetzen? Das Leben neu formen. Diesen Moment mutieren lassen. So, dass er ihr zusagt. Genau! Elsa jubelt innerlich. Ein neues Ziel baut sich in ihr auf. Sie spürt, wie ein letzter Rest Kraft entsteht. Hat sie das Notdepot angezapft?
    Sie wird hier sitzen bleiben. In zwei Personen gespalten. In die eine, die eine Geschichte erzählt, und die andere, die aufmerksam lauscht.
    Während des Zuhörens wird sie die aufeinander abgestimmten Informationen der Erzählung ungehindert in ihr Gehirn vorlassen. Ohne Filter und Urteil der Realität. Wenn sie das geschafft hat, ist sie nahe dran, ganz nah. Der Wunsch, ihre ausweglose Situation durch eine akzeptable zu ersetzen, eine, die sie erlöst, hier rausholt, wird sich in Realität wandeln. Plötzlich ist Elsa überzeugt, dass es genau so kommen kann.

     
    Anna steht in der Videothek und schaut sich um. Von Dino fehlt jede Spur.
    »Verflixt«, murmelt sie. Dass er nicht da sein könnte, damit hat sie nicht gerechnet. Sie fragt ein Mädchen, das in den Gängen herumschlurft, wo er ist.
    »Dino?« Das Mädchen starrt sie teilnahmslos an. »Nie gehört.«
    »Anton«, versucht Anna es probeweise.
    »Sag das doch gleich. Du suchst den Maihauser Toni? Der ist nicht da.«
    »Das sehe ich selbst.«
    »Ja, so is es halt.«
    »Klar, aber wo kann ich ihn finden?«
    »Kennst du die Maihausers nicht?«
    »Offensichtlich. Ich hoffe, du brauchst es nicht schriftlich.«
    Das Mädchen zuckt mit der Schulter. Ihre überlangen Arme hängen schlaff an ihr herunter. »Dein Pech«, ist das Einzige, was aus ihr herauszuholen ist.
    »Das ist kein Spiel hier. Das ist echt wichtig. Krieg ich jetzt die Info, wo ich ihn finden kann, oder nicht?«
    »Okay.« Das Mädchen macht eine völlig unsinnige Pause und räumt DVDs hin und her. »Du musst nach Marquartstein. Mit den Bussen ist es um die Zeit allerdings schwierig. Das weißt du hoffentlich?«
    »Zerbrich dir nicht meinen Kopf.« Anna ist kurz davor durchzudrehen.
    »Nimm halt das Rad. Im Notfall geht’s natürlich auch zu Fuß. Aber das dauert. Die Maihauser-Villa ist nicht zu übersehen.

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