Engpass
den Satz in die – vom Wind abgesehen – Totenstille rings um sich herum. Als das erledigt ist, kauert sie sich zu einem Häufchen zusammen und schließt müde die Augen. Sie muss sie vor den Staubkörnern, die der Wind mitführt, schützen.
Unwirsch fährt Ben sich durchs Haar und durchschreitet seine Wohnung. Wenn er aus dem schmalen Fenster im Gang schaut, sieht er, dass der Chiemsee Schaumkronen aufbläht.
»Dieser verdammte Sturm und dieser sture Karl Degenwald«, schimpft er. Sein Handy liegt gut sichtbar auf dem Tisch im Flur. Unbeweglich, jeder Nachricht enthoben.
Als Karl ihn vorhin anrief, wusste er, dass etwas mit Elsa war. Nicht, was, aber dass etwas war. Mitkommen, war sein erster Gedanke. Doch Karl hatte ihn abgehalten. Zwischen seinen Worten hatte er die unformulierte Wahrheit verpackt, dass er Anna, Elsas Tochter, nicht unnötig beunruhigen wolle. Wenn er, Ben, mitkäme, würde das der Situation umso mehr einen Stempel aufdrücken. Den, dass ihre Mutter in Gefahr schwebe. Aber so? So machte es den Eindruck, Elsa habe sich ein bisschen verspätet. Deshalb fahre man ihr entgegen. Nichts sonst. Eine Geste der Höflichkeit.
Schwachsinn, ärgert sich Ben. Elsa braucht dringend Hilfe. Jede, die sie kriegen kann. Was soll das Ganze sonst bedeuten? Vielleicht befindet sie sich schon lange in Gefahr? War verunglückt? In eine Felsspalte gestürzt? Dazu dieser unmenschliche Sturm, der dabei ist, mit jedem Atemzug jede verdammte Lunge auszuhöhlen. Feinsäuberlich. Mit Saharastaub. Himmel noch einmal! Ben spürt, wie sein Hals trocken wird. Jäh steht er auf, ignoriert jedes Gefühl von Solidarität mit Karl Degenwald und seinen Überlegungen, schnappt sich seine Wetterjacke und verlässt die Wohnung. In der Garage hat er zwei große Scheinwerfer liegen. Die wird er mitnehmen.
Birgit Leiner steht auf der Terrasse, beim Seitentrakt des Maihauser-Anwesens. Der Sturm fährt ihr durchs Haar. Wieder und wieder dreht sie sich um die eigene Achse, während der Wind an ihr zerrt und zieht. Sie spielt mit ihm. Ringelreihen. Einfach drehen, bis alles in ihr kreist. Nach einer Weile geht sie stumm den Garten ab. Bald ist sie hinter einem Ginsterbusch angekommen. Dort bleibt sie. Schiebt die wütend raschelnden Zweige sachte auseinander. Faltet sie. Zu ihrem Blick passend. In dem großen Sessel im Wohnzimmer sitzt Fred Maihauser. Allein. In der Hand einen Kognacschwenker. Zuerst trinkt er, dann senken sich, einer Ohnmacht ähnlich, zuerst seine Augenbrauen, dann die Lider. Dieser Anblick schneidet sich tief in ihr Herz. Leise seufzt sie. Sehnsüchtig. Dann ein Wimmern. Auf ihrem Gesicht prangt gespielte Zuversicht. Dann wieder Zweifel.
»Tramst?«, säuselt Birgit leise. Sie kichert. Kleinmädchengleich. »Tramst vom Glück? Von der Liebe?« Ihr Kichern schwillt an. Wird fordernd. Erneut nimmt ihr Blick Fred Maihauser in Gewahrsam. »I woaß scho, wovonst tramst, Schatzerl. Traust dir’s nur net aussprechen. I woaß, i woaß! Hab koa Angst.«
Birgits Blick heischt nach Maihausers Aufmerksamkeit. Nach Zuwendung. Von all dem bekommt der nichts mit. Schließlich wird ihr Blick banal. Hanne, Maihausers Frau, kommt ins Zimmer, stellt ein Brett mit Schinken und Käse auf den Beistelltisch, neben Fred. Birgits Blick wird gehässig. Fast brutal. Sie lässt den Ginsterbusch zurückschnellen. Die Zweige peitschen in ihr Gesicht. Sie ignoriert den kurzen Schmerz, pflegt stattdessen ihren Blick, dreht um und geht – entrückt lächelnd – davon.
»Mei Zeit … woaßt, die kummt no. Glaub’s ma, Schatzerl!«
Degenwald fährt den Forstweg aus, so gut es geht. Ein geländetaugliches Fahrzeug wäre jetzt hilfreich, ärgert er sich im Stillen. Um das zu besorgen, fehlt ihm die Zeit. Außerdem weiß er nicht, wo Elsa ist. Oben am Berg, eher unten, Richtung Tal, überhaupt noch in den Bergen? Sie konnte es sich am Morgen auch anders überlegt haben und nicht zum Taubensee aufgebrochen sein. Bei der letzten Schranke hält er an, bedeutet Anna und Dino auszusteigen.
»Taschenlampen haben wir. Eine für jeden.« Dann zögert er. »Ob du lieber hier, im Wagen, in Sicherheit bleiben möchtest, frage ich erst gar nicht, Anna.«
»Da liegen Sie völlig richtig, Degi. Ich lasse Mama nicht im Stich. Keine Chance.«
»Und du, Dino?« Degenwald streift den Blick des Maihauser-Sohnes.
»Ich bin dabei. Was sonst, oder?«
»Na dann.« Degenwald versichert sich, dass die beiden passendes Schuhwerk
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