Engpass
hat den Haushalt geführt, ihm täglich ein liebes Wort geschenkt. Ach was, viele, viel zu viele ungehörte Worte. Mit Körper und Seele sei sie ihm ausgeliefert gewesen. Er habe nichts dafür tun müssen. Sie nur anschauen. Nicht an ihr vorbei, sondern in sie hinein. Das habe er manchmal getan. In Stunden der Einsamkeit, der Hoffnungslosigkeit. Und es habe ihr gereicht. Eine Zeit lang zumindest. Jahre. Dann sei alles aus dem Ruder gelaufen. Sei ihr zu viel geworden. Sein wachsender Zorn über und auf seine Frau, den sie habe mit ansehen müssen. Und, was schlimmer gewesen sei, der Verlust seiner Stärke, der unerbittlich vorangeschritten sei. Täglich dabei zu sein, bezeugen zu können, dass er, jeden Tag mehr, wieder zum kleinen Jungen wurde. Dann, nach einer Weile, habe er um Liebe gebettelt. Zuerst leise, dann fordernd. Silkes verdorbene Liebe, die er doch nie wirklich besessen hatte. Ein Stück Dreck sei sie gewesen. Abschaum der Gesellschaft. Sie habe ihn hilflos flehen lassen und doch weiter gelebt und herumgehurt, wie die ganze Zeit zuvor.
»Des woaß i genau. I war allezeit dabei. Live, wia ma so sche sagt«, betont Birgit.
Degenwald nickt stumm. Starrt auf das Band, das die ganze Zeit mitläuft.
»Aber er wollt den Dreckskram. Die Silke, die hat’s eam geb’n. Beim Sex, moan i«, erklärt die Leinerin. »Amoi hab i’s g’sehn. Da hat’s sich üaber eam beugt. Saukram, elendiger Saukram.« Birgit wirft angewidert die Hände vors Gesicht, nimmt sie wieder fort und spitzt die Lippen, als wolle sie ausspucken. Ihr seltsam entrücktes Lächeln wirkt plötzlich verunsichert, gerät zur Grimasse. Wie eine Faschingsmaske des Horrors.
Noch immer hütet Degenwald sich davor einzugreifen. Falls er Fragen hat, stellt er sie nicht. Noch nicht.
Birgit erzählt weiter. Davon, dass sie diesem Teufelsweib, diesem Flittchen, nicht länger bei alldem zusehen konnte. Der Maihauser, der hätte sich nie von ihr befreien können. Dem habe die Kraft gefehlt. Entscheidungskraft. Was sei ihr da übrig geblieben? Sie habe es für ihn getan. Für seinen Seelenfrieden. Anstand und Sitte. Dass sie nicht lache. Davon habe die Silke, dieses Drecksweib, nie gehört. Die habe nur an sich gedacht. An das Geld vom Maihauser und das Ansehen, das sie durch ihn gewonnen habe.
»Verwöhnt hat er’s, dass d’ Hälfte g’nug g’wesn wär. Aber er hat’s so wolln, er hat’s wolln.«
Und als die Silke eines Tages so dagestanden sei, mit dem Bramlitz telefonierend, wie fast jeden Tag, und auch dem Honig um den Bart geschmiert habe – der war ihr genauso ausgeliefert wie die anderen auch, von denen sie sicher nichts gewusst habe –, da sei ihr das Staubsaugerkabel in ihrer Hand aufgefallen. Das habe sich plötzlich zu einer Schlinge geformt. Wie von selbst sei es gegangen. Sie sei auf die Silke zu, in ihren Rücken hinein. Und als die sich nach vorn gebeugt hat, da habe das Kabel den Weg zu ihrem Hals gefunden. So, als habe es schon immer da hingehört. Der Hörer sei der Silke aus der Hand gefallen. Kurz habe sie geröchelt, sich sogar umgedreht. So halb, seltsam verdreht. Das Telefon sei runtergefallen. Die Verbindung unterbrochen worden. Den Hörer habe sie nicht wieder aufgelegt. Der Götz Bramlitz, Birgit schnappt nach Luft, der habe sich keine Sorgen mehr machen müssen. Der sei von einem auf den anderen Moment erlöst worden. Birgit macht eine Pause, lenkt erschöpft den Blick nach unten, zu ihren Fußspitzen. Lässt ihn verharren. Seufzt laut. Dann fasst sie erneut Mut und redet weiter. Sie habe das Kabel zusammengezogen. Fest. Sehr fest. Birgit stellt für einen Moment das Atmen ein. Sie verharrt im luftleeren Raum. So, als falle ihr erst jetzt die Tragweite des vor 20 Jahren Geschehenen auf. Als sie daranging, Fred Maihauser von seiner freizügig lebenden Frau zu befreien. Innerhalb weniger, dramatischer Stunden.
»Des is so leicht gangen. So leicht«, dämmert es Birgit. Wie in Trance sitzt sie da. Ihre Stimme lebt ersatzweise für ihren Körper, ihren Geist und ihre Seele. Lebt Mord und Rache aus. In stiller Erinnerung. Lange hat sie schweigen müssen. Doch das ist zu Ende. Jetzt kommt der Triumph. Heute lebt sie ihren Sieg aus. Den Sieg der Beachtung. Sie redet weiter, will gar nicht mehr aufhören. Redet sich in Rage. Eine beklemmende, grausige Szene voll falscher Moral, Ethik, offensichtlicher Anstandsregeln. Regeln, die Birgit ein für alle Mal aufgestellt hatte. Alle Dämme brechen. Sie beugt sich, fast
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