Engpass
ihre Geschichte verschwinden vor ihr, wie hinter einer diffusen Nebelwand. Tauchen nicht mehr auf.
Elsa, die ein ausgeprägtes Gespür für solch wichtige Details hat, seufzt ernüchtert. Sie findet oft den richtigen Zeitpunkt. Diesmal nicht. Deshalb nickt sie, steht auf und geht zur Tür. Sie werde jemanden schicken, der sich um sie kümmere. Jemanden, der sie in Untersuchungshaft begleite. »Ach ja«, merkt sie noch an. »Ich werde mich natürlich auch Ihres Hundes annehmen.«
Elsa rechnet mit Erleichterung in Birgit Leiners Blick. Der Hund ist ihr Ein und Alles. Doch stattdessen registriert sie deutliche Abneigung, gepaart mit Schadenfreude. Seltsam, wundert sich Elsa.
Als sie draußen, vor der Tür steht, ahnt sie plötzlich, was los ist. Sie zögert keinen Augenblick und beginnt zu rennen.
Degenwald hält Götz Bramlitz’ schriftlich formuliertes Alibi in Händen. An besagtem Tag, als Bramlitz wegen angeblicher gesundheitlicher Probleme nicht in der Lage gewesen war, zu ihm zu kommen, hatte dessen Anwalt es ihm ausgehändigt. Er habe zur Tatzeit mit einem seiner engsten Mitarbeiter zusammengesessen, liest Degenwald zum wiederholten Mal. In seinem Unternehmen arbeite man mitunter auch spät nachts noch. Nichts Ungewöhnliches. Die neue Werbekampagne stünde an. Die Zeiten wären alles andere als rosig, auch wenn die Umsätze bei ihnen noch stimmten. Man müsse vorsorgen. Degenwald hatte das Alibi telefonisch überprüft und sich die Litanei des Angestellten anhören müssen. Sehr freundlich. Sehr darum bemüht, zur Verfügung zu stehen. Aber irgendwie wie auswendig gelernt, fand er.
Er entscheidet sich spontan zu einem weiteren Gespräch mit dem Mann. Was spricht dagegen, bei ihm vorbeizufahren, um sich von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten? Vielleicht stimmt alles, was ihm gesagt worden ist. Vielleicht aber auch nicht. Wenn man sich in einem Abhängigkeitsverhältnis befindet, bestätigt man gern mal das ein oder andere. Diese Erfahrung hat Degenwald häufig gemacht. Wenn Birgit Leiner allerdings tatsächlich auch den Mord an Bramlitz’ Frau zu verantworten hatte …? Er zögert, versucht, sich mit einer einzigen Geste die Bedenken aus dem Gesicht zu wischen. Ohne Erfolg. Es würde nichts schaden nachzuhaken, entscheidet er sich. Eine Regel, die in jedem Stadium der Ermittlungen gilt.
Anna lässt sich in einen der bequemen Sessel auf der Terrasse der Maihausers fallen. Hinter sich hört sie Dino mit dem Tablett kommen. Er stellt eine eisgekühlte Cola vor ihr ab, dann lässt er eine Tüte Gummibärchen und Chips in ihren Schoß fallen.
»Voll die Kalorienachterbahn, was?«, grinst Anna und reißt die Gummibärchentüte auf. Der Garten der Maihausers ist ein Traum, findet sie. Penibel gepflegte Rasenflächen, Blumenrabatte, Tröge mit zurechtgestutztem Buchsbaum. In der Ferne entdeckt sie einen Schwimmteich mit angelegter Brücke und Wasserfall. Alles wirkt groß, fast bombastisch, ein künstliches Paradies.
Anna erfasst Dinos Blick, nachdem sie die Umgebung gescannt hat. »Nicht übel. So einen Stiefvater lass ich mir auch gefallen. Na ja, ich hab ja noch eine Chance.«
Dino hat sich neben sie gesetzt, die Füße an den Stuhl gegenüber gelehnt, und schiebt sich den schwarzen Strohhalm in den Mund. Er zieht geräuschvoll am Halm, genießt einen großen Schluck kalte Cola. »Wieso?«, will er wissen. »Auf welche Chance spielst du an?«
Anna druckst einen Moment herum. Dann erleichtert sie sich. »Meine Eltern lassen sich vermutlich scheiden.« Sie verdreht kurz die Augen, lässt es dann aber wieder bleiben. »Sie haben erst unlängst einen Schlussstrich unter ihr Ehedrama gezogen. Deswegen sind wir überhaupt hierher gezogen.«
»Saubere Lösungen find ich besser als ewiges Herumgejammer.« Dino schiebt die Colaflasche in die Mitte des Tisches und streift sich die Turnschuhe von den Füßen.
»Sag mal, willst du später Politiker werden oder wieso redest du so wohlüberlegt daher?« Anna kann es nicht fassen. Bei Dino anständig Dampf abzulassen scheint nicht gerade einfach zu sein. Seltsamer Typ. Anna schüttelt den Kopf, während sie weiße Gummibärchen aus der Tüte raussucht. Ihre Lieblingsfarbe. Obwohl sie sich über Dinos cooles Gehabe ärgert, imponiert ihr sein Auftreten auch. So war er anfangs gar nicht drauf, als sie ihn in der Videothek kennengelernt hat.
»Find ich echt gut, dass du noch auf ’ne Cola mitgekommen bist«, meint Dino versöhnlich.
»Und auf
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