Engpass
vertraut, zu Karl Degenwald hinüber. Legt ihre Hand auf seinen Arm. Heischt nach Anerkennung. Fast flirtend. Flirtend um Verständnis und Lob.
Als Silke tot dalag, habe sie gewusst, dass dieses Weib weg müsse. Endgültig weg! Da sei ihr das Moor eingefallen. Sie habe schwer an Silke getragen. Viel zu schwer. Lange danach habe sie ihren Rücken gespürt. Sogar an einen Bandscheibenvorfall habe sie denken müssen. Natürlich sei sie zum Arzt gegangen, aber der habe nur Turnübungen und eine Salbe verschrieben. Im Wagen, im Kofferraum, habe sie die Silke transportiert und zum Moor gefahren. Ganz langsam. Und dann habe sie sie versenkt. Ein Schiff, das untergeht. So habe die Silke ausgesehen. Danach sei es still geworden. Still um sie herum. Und um Fred Maihauser. Birgit schweigt. Minuten vergehen. Kein weiteres Wort aus ihrem Mund.
»Die Untersuchung, mei, des war noch amoi schlimm für eam. Für den Fred, moan i. Ober dann …«
Elsa hat die Hand vor den Mund geschlagen. So steht sie da. Das farbige Bild der Tat vor ihrem inneren Auge spult sich ein ums andere Mal ab. Sie sieht Silke Maihauser untergehen. Einmal, zweimal. Hoffnungslos ihrem Schicksal ergeben. Plötzlich versucht sie sich vorzustellen, wie es in Karl Degenwald aussieht. Die Frau, die er einstmals liebte, sieht er in diesen Momenten erneut sterben. Plastischer als je zuvor. Vor seinen Augen gibt sie ihr Leben hin. Er hört jedes einzelne Wort aus dem Mund der Mörderin. Und bleibt unbeweglich, fast starr dabei. Nichts ist ihm anzumerken. Wenn er mit sich kämpft, wenn Wut, Groll, Verbitterung oder einfach nur Traurigkeit in ihm aufsteigen, zeigt er es nicht. In diesen Minuten ahnt Elsa, was Degenwald in seinem Leben bereits durchgemacht hat. Wer so ruhig bleibt, hat viele Kämpfe gekämpft. Den schlimmsten, den mit sich selbst, den, der ihn zum Rächer, zum Sühner einer Tat machen könnte, hat er offenbar bestanden.
Degenwald setzt die Befragung aus. Schweigend verlässt er das Zimmer. Auf dem Gang gibt er Elsa mit einer Geste zu verstehen, sie solle weitermachen.
»Sie haben tatsächlich keine Probleme, die Führung abzugeben«, versucht Elsa zu scherzen. Dabei zwingt sie sich zu einem amüsierten Lächeln und versucht ein paar wenige Tanzschritte im Flur. Doch plötzlich friert ihr der Ablauf der Bewegungen mittendrin ein. Sie weiß, dass sie Degenwald mit nichts, keinem Wort, keiner Geste, keiner Handlung von seiner vor sich selbst abgekapselten Trauer erlösen kann. Darum lässt sie ihn. Lässt ihn gehen.
Er will nichts mehr von diesem schrecklich unsinnigen Mord hören. Zu Recht. Halbherzig lächelt er zurück. Sie versteht viel zu gut, was in ihm vorgeht. Zum Nicken kommt sie nicht mehr, sieht nur noch in seinen sich entfernenden Rücken hinein.
Elsa zögert nicht länger, setzt ihre professionelle, freundlich-distanzierte Miene auf und betritt das Zimmer, in dem Birgit wartet. Eine Pause, das weiß sie, könnte alles zunichte machen. Der Redestrom der Befragten muss aufrechterhalten werden. Um jeden Preis. Also setzt sie sich. Schiebt den Stuhl nahe an den Tisch heran, um den Abstand zwischen sich und Birgit gering zu halten. Eine angedeutete Nähe, die das Reden erleichtern soll.
»Was hat es mit dem Mord an Aurelia Bramlitz auf sich, Frau Leiner? Sie erinnern sich, dass Sie andeuteten, Sie hätten auch damit zu tun?«
Birgit nickt, sehr schnell. Die Aurelia, das sei ein armes Hascherl gewesen. Gelitten habe die, das sei nicht zum Mitansehen gewesen.
»Weshalb?«, fragt Elsa nach. »Die Affäre ihres Mannes lag doch schon lange zurück. Und irgendwann hat man das verarbeitet.«
»Glauben S’ des wirkli?« Die Leinerin lacht erschüttert auf.
»Fremd san S’. Sie kennen unseroans net. Des werden S’ nie doa.«
»Das stimmt«, gesteht Elsa. »Ich bin fremd hier. Aber trotzdem ergibt das für mich keinen Sinn. Wieso hat Frau Bramlitz sterben müssen?«
»Am Wasser, wia damals, gell?«
Elsa nickt betroffen. »Wir haben die Leiche am Wössener See gefunden. Nicht am Moor. Und erdrosselt ist sie auch nicht worden. Aber das wissen Sie ja am besten, nicht wahr?«
Plötzlich schweigt Birgit, legt die Lippen, wie versiegelt, fein säuberlich übereinander. Ihr Blick und ihre Gesten machen deutlich, für heute wird sie nichts mehr sagen. Daran kann auch Elsa nichts ändern. Mit keiner, wie auch immer lautenden Frage.
Obwohl sie es zuerst nicht wahrhaben will, spürt sie, wie Birgit ihr entgleitet. Die Haushälterin und
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