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Enigma

Enigma

Titel: Enigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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stationierten Jäger. Dragonfly ist die Luftwaffe in Tunis, Locust die Luftwaffe in Sizilien. Von denen gibt es Dutzende. Die Blumen bezeichnen den Luftgau - Foxglove: Ostfront, Daffodil: Westfront, Narcissus: Norwegen. Vögel stehen für das deutsche Heer. Chaffinch und Phoenix stehen für die Panzerarmee in Afrika. Kestrel und Vulture: Ostfront. Sechzehn Vögelchen. Da haben wir Garlic, Onion, Celery - alle Gemüse sind Wetter-Enigmas. Die kommen in Baracke 10. Alles verstanden?«
    »Was sind Skunk und Porcupine?«
    »Skunk ist Fliegerkorps VIII, Ostfront. Porcupine ist Boden- Luft-Kontrolle, Südrußland.«
    »Warum sind das nicht auch Insekten?«
    »Keine Ahnung.«
    Die Formulare, die sie ausfüllen mußten, wurden »blists« oder »bankies« genannt, der Aktenschrank für alle möglichen Belanglosigkeiten trug den Namen Titicaca (»ein See in den Anden«, sagte Mermagen wichtigtuerisch, »der von vielen Flüssen gespeist wird, aber keinen Abfluß hat«). Die Männer nannten sich gegenseitig bei albernen Namen - »das Einhorn- Zebra«, die »Suppen-Schildkröte« -, während die Frauen nach den gutaussehenden Kryptoanalytikern im Maschinenraum schmachteten. Als Hester in diesem Winter in der eiskalten Baracke saß und ihre endlosen Listen zusammenstellte, konnte sie sich Nazideutschland nur als endlose, verdunkelte Ebene mit Tausenden von kleinen, isolierten Lichtern vorstellen, die einander in der Dunkelheit zuflackerten. Seltsamerweise, dachte sie, war dies alles auf seine Art vom Krieg ebenso weit entfernt wie die Wiesen und reetgedeckten Scheunen von Dorset.
    Sie brachte ihr Fahrrad in den Schuppen neben der Kantine und ließ sich dann vom Strom der Arbeitskräfte bis in die Nähe des Eingangs von Baracke 6 treiben. Die Kontrolle befand sich bereits in einem prachtvollen Stadium des Durcheinanders. Mermagen hastete wichtigtuerisch zwischen den Schreibtischen herum, stieß mit dem Kopf gegen die tiefhängenden Lampenschirme, so daß sich Tümpel aus gelbem Licht in alle Richtungen ergossen. Die Vierte Panzerarmee meldete die erfolgreiche Wiedereroberung von Charkow durch die Russen, und die Spinner in Baracke 3 verlangten, daß sämtliche Frequenzen im Südabschnitt der Ostfront unverzüglich noch einmal überprüft würden, »Hester, Hester, Sie kommen gerade rechtzeitig. Würden Sie mit Chicksands reden, seien Sie so gut, und sehen, was Sie tun können? Und wenn Sie gerade dabei sind, der Maschinenraum vermutet, daß ein Text aus der letzten Sendung Kestrel verstümmelt ist - die Bedienerin muß ihre Aufzeichnung überprüfen und ihn neu senden. Und dann müssen die Elf-Uhr-Meldungen aus Beaumanor aufgelistet werden. Schnappen Sie sich jemanden, der Ihnen dabei hilft. Ach ja, und in der Registratur müßte auch Ordnung gemacht werden…«
    All das, bevor sie auch nur den Mantel ausgezogen hatte.
    Es war bereits zwei Uhr, als sich die Hektik soweit gelegt hatte, daß sie sich davonmachen und privat mit Mermagen sprechen konnte. Er war in seinem Besenschrankbüro. Seine Füße lagen auf dem Schreibtisch, und er betrachtete eine Handvoll Papiere durch seine halbgeschlossenen Augen; seine tolle Pose der Schicksalsergebenheit hatte er vermutlich einem Filmstar abgeschaut.
    »Haben Sie einen Moment Zeit für mich, Miles?«
    Miles. Ihr war dieses Bestehen auf das Anreden beim Vornamen zuwider, aber Zwanglosigkeit war eine starre Regel, ein wichtiger Bestandteil des Ethos von Bletchley: Wir, die zivilen Amateure, werden sie, die disziplinierten Deutschen, schlagen.
    Mermagen fuhr fort, seine Papiere zu studieren. Sie stampfte leicht mit dem Fuß auf. »Miles…«
    Er blätterte eine Seite um. »Sie haben meine völlig geteilte Aufmerksamkeit.«
    »Meine Bitte um eine Versetzung…«
    Er stöhnte und blätterte abermals um. »Nicht das schon wieder.«
    »Ich habe Deutsch gelernt…«
    »Wie tapfer.«
    »Sie haben gesagt, fehlende Deutschkenntnisse machen eine Versetzung unmöglich.«
    »Ja, aber ich habe nicht gesagt, daß vorhandene Deutschkenntnisse eine Versetzung wahrscheinlich machen… Ach, verdammt, kommen Sie herein.«
    Mit einem Seufzer legte er seine Papiere beiseite und winkte sie über die Schwelle. Irgend jemand mußte ihm einmal gesagt haben, daß Pomade ihn rassig aussehen ließ. Sein fettiges schwarzes Haar, aus der Stirn und hinter die Ohren zurückgekämmt, glänzte wie eine Badekappe. Er versuchte, sich ein Clark-Gable-Bärtchen stehenzulassen, aber es war an der linken Seite ein wenig zu

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