Entbrannt
Entschuldigung war so vielschichtig, dass ich sie nicht in Worte fassen konnte, deshalb ließ ich sie einfach von mir zu ihm fließen.
Er umklammerte die Tischkante und nahm seine ganze Kraft zusammen, als er spürte, wie meine Reue in ihn hineinströmte. Rasch verbarg er es, richtete sich auf und unterbrach den Strom der Emotionen.
»Z urück zu dem Teil, in dem wir alle sterben«, sagte Lincoln, unbeeindruckt von dem, was gerade geschehen war. »W ie wird das geschehen?«
Ich dachte darüber nach, was Phoenix gesagt hatte. In modernen Darstellungen, war ein Cherub ein Wesen der Liebe– kleine, fette geflügelte Babys, die herumflogen und ihre Pfeile der Leidenschaft abschossen.
»P feile«, flüsterte ich.
Phoenix nickte und schloss kurz die Augen. »V iolet wird aufgehängt, und fingerlange Pfeile werden auf sie abgeschossen. Für jeden Pfeil, den sie überlebt, wird ein Kind freigelassen, bis sie es nicht mehr aushält.«
»D u meinst, bis ich tot bin?«
»B is du tot bist.«
Ich ignorierte mein Unterbewusstsein, die endgültige Erkenntnis, dass der Tod jetzt an meine Tür klopfte. Unbarmherziger, unwandelbarer, sicherer Tod. Ich blickte Phoenix an, weil ich Lincoln, der neben mir saß, nicht ansehen konnte.
»U nd was ist mit Lincoln?«, hörte ich mich sagen.
»E r muss dich begleiten. Er wird gezwungen zuzusehen.«
»A ber er muss nicht mitkommen?«, fragte ich.
Phoenix schüttelte den Kopf. »D och, er muss. Sie will ihn sehen. Ohne ihn ist der Deal geplatzt.«
»W ird er am Leben gelassen?«
Phoenix senkte den Blick. Ich schloss die Augen.
Sie würden Lincoln hinrichten, nachdem er mir beim Sterben zugeschaut hatte.
Lincolns Lachen war bitter. »L ilith erwartet also, dass ich daneben stehe und zuschaue, wie Violet gefoltert wird?« Er schüttelte den Kopf und beugte sich vor. »N ie und nimmer. Sag deinem Psycho-Miststück von Mutter, sie kann sich ihren Deal sonst wohin schieben.«
Phoenix sagte nichts zu Liliths Verteidigung, er überbrachte nur finster und entschlossen die Botschaft– wie ein Arzt, der Dinge aussprach, die kein Patient hören wollte, sich aber trotzdem anhören musste. »I ch kann helfen, aber… Es gibt nicht viel, was ich tun kann. Es gibt keine Möglichkeit, sie aufzuhalten, aber ich kann dir mein Wort geben, dass ich danach deine Mutter da raushole, Violet. Sie wird sie am Leben halten, bis…«
»I ch tot bin.«
»D a ist noch etwas.« Er sah jetzt Lincoln an, als würde er ihm etwas sagen wollen. Aber Lincoln schäumte so sehr vor Wut, dass er bestimmt nur rot sah. »S ie weiß, dass wir miteinander verbunden sind. Sie hat die Verbindung an mir wahrgenommen, und Olivier hat dies nur allzu gern bestätigt. Sie wird mir auftragen, deine Wunden wieder aufzureißen, wenn du zu stark bist. Sie wird zu ihrem Wort stehen und die Kinder freilassen, aber sie wird nicht zu viele verlieren wollen.«
Er blickte zwischen Lincoln und mir hin und her und seufzte, weil er offenbar einen Entschluss gefasst hatte. »A m besten…« Er schluckte, als käme ihm das nur schwer über die Lippen. »A m besten, du ziehst jede Möglichkeit in Betracht, bis dahin so stark wie möglich zu werden.«
Lincoln schleuderte seine Tasse an die Wand. Sie zersprang in tausend Stücke, und Kaffee lief an der weißen Wand herunter.
»D as ist doch krank. Vi, das kannst du dir doch unmöglich anhören«, sagte Lincoln, doch er wusste genauso gut wie ich, dass es zwar krank war, aber trotzdem der Wahrheit entsprach.
»U nd wenn du dich weigerst, mich zu verletzen?«, fragte ich Phoenix.
»I ch bin von ihrem Blut. Sie kann mich dazu zwingen.« Er blickte zu Boden. »S ie weiß, dass ich… Lincoln wird nicht der Einzige sein, der zuschauen muss.«
Mir fiel ein, wie viel Macht Irin über seine Nephlim-Kinder zu haben schien. Ich fragte mich, ob Lilith ähnliche Macht über ihn hatte.
Lincoln stand auf, sein Stuhl schrammte über den Fußboden. »D as ist echt unglaublich! Du sagst uns also, wir sollen uns Lilith ergeben. Im Gegenzug versicherst du uns, dass du ihre Mutter befreien wirst, wenn wir beide tot sind. Und dann sollen wir auch noch darauf hoffen, dass du Violet so lange wie möglich am Leben hältst, damit ihr Tod langsamer und schmerzhafter wird! Du bist doch krank! Genauso gut können wir es darauf ankommen lassen und dich umbringen!«
Ich hörte Lincolns Worte, das verzweifelte Flehen darin, dass das alles nicht wahr war. Aber wir wussten beide, dass er die eine Sache außer Acht
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