Entbrannt
stützte mich mit der Hand an der Wand der Dusche ab. Fast rechnete ich damit, dass ich zusammenbrechen würde, aber das tat ich nicht. Stattdessen zog ich mich zurück zu diesem Ort in mir selbst. Ich hatte schon vor langer Zeit gelernt, mich dorthin zurückzuziehen. Dieser Ort hatte mich gezwungen, stark zu sein, hatte mir geholfen, den Übergriff zu überleben, als ich jünger war. Ich hatte nicht zugelassen, dass dieser Lehrer mich brach, und Lilith würde das auch nicht schaffen.
Nicht davonlaufen. Nicht aufgeben. Ich glaube nicht an Happy Ends.
Ich werde Lilith entgegentreten.
Die Zeit zum Zusammenbrechen war vorbei. Die Zeit, über Himmel und Hölle nachzudenken und darüber, was von beidem mich begünstigen würde, war auch vorbei. Ich würde nicht zu den Leuten gehören, die in ihren letzten Stunden auf die Knie fallen, das war auch zuvor nie eine Alternative gewesen.
Stattdessen dachte ich, während ich so unter der Dusche stand, an Lincoln, und brach in bitteres Gelächter aus. Nach all dem, was wir getan hatten, um uns voneinander fernzuhalten. Wir hatten gegen das Innerste unserer Seelen angekämpft, die Nähe gefordert hatten, die wir immer verweigerten. Jetzt schien es mir verrückt, dass wir tatsächlich erwogen hatten, unser langes Leben in einem solch lächerlichen Partnerschaftskonzept Seite an Seite zu führen, und nicht als die Seelenverwandten, die wir eigentlich waren.
Wem wollten wir damit etwas vormachen?
Nun würden wir ironischerweise sowieso sterben– eine letzte Ohrfeige des Lebens.
Natürlich konnten wir auch Griffin und die Kavallerie rufen, aber zu welchem Preis? Lilith würde die Kinder zweifellos umbringen, und unsere Leben waren es nicht wert, dieses Risiko einzugehen. Wir waren Grigori. Wir waren Krieger. Es war unsere Pflicht.
Aber dann schoss mir etwas anderes wieder durch den Kopf. Der Strom der Gedanken riss ab, die Tränen versiegten und ich blinzelte. Mir war etwas entgangen.
Phoenix’ Worte– Am besten, du ziehst jede Möglichkeit in Betracht, bis dahin so stark wie möglich zu werden – und dass es ihm so schwer gefallen war, diese Worte hervorzubringen.
»O h, mein Gott«, flüsterte ich. »W ir werden beide sterben.«
Die Luft verließ meine Lungen und ich klammerte mich an die Wasserhähne, um nicht auf die Knie zu fallen.
Es gibt absolut keinen Grund für uns, nicht zusammen zu sein.
Tatsächlich sprach zum ersten Mal alles dafür, dass sich Lincolns Seele und meine miteinander verbanden. Die Kraft, die uns dadurch verliehen würde, die Fähigkeit, unsere Stärke und unsere Heilkraft zu verbinden. Das würde mir mehr Zeit schenken, was mehr Kinder bedeutete. Und hinterher… Lincoln würde die Qualen seiner Folter nicht bewusst ertragen müssen.
Alle Risiken, einander Schmerzen und Leid zuzufügen, all die drohenden schrecklichen Konsequenzen verschwanden.
Wir waren frei.
Morgen werden wir sterben.
Aber nicht heute.
Ich lächelte, und bittersüße Erleichterung erfüllte meine Seele.
Dann rasierte ich mir die Beine.
Ich war so lange unter der Dusche gewesen, dass Lincoln schon wieder zurück war, als ich herauskam, und ich hörte, wie er unten rumorte. Ich zog eine Jeans und ein T-Shirt über und wünschte, ich hätte etwas, das… Hatte ich aber nicht.
Ich nahm mir Zeit und freute mich, als ich meinen Föhn und meine Kosmetiktasche fand. Offenbar hatte Zoe für mich gepackt.
Draußen war es dunkel, als ich schließlich aus meinem Zimmer kam. Ich ging durch den Flur und schnappte nach Luft, als ich oben an der Treppe ankam. Die Lichter waren aus und Dutzende Teelichter säumten den Weg nach unten. Leise Musik, die ich nicht kannte, drang zu mir nach oben. Es war ein altes instrumentales Stück, etwas, was Lincoln in der Hütte gefunden haben musste. Ob ich es kannte oder nicht, es würde mein Lieblingssong bleiben. Bis in alle Ewigkeit.
Langsam ging ich die Treppe hinunter, mein Herz klopfte, aber auf absolut gute, beglückende Art und Weise. Im Wohnzimmer prasselte ein Feuer und verströmte einen warmen Schein.
Meine Hand fuhr zu meinem Mund.
Weiße Lilien.
Überall.
Wie versteinert sah ich in Richtung Küche. Lincoln stand am Herd und rührte in etwas. Er musste geduscht haben, während ich mich geföhnt hatte, denn sein Haar war noch feucht und zerzaust. Er trug Jeans und ein weißes T-Shirt.
Barfuß. Sein Arm beugte sich, während er sich auf das, was auch immer er da gerade kochte, konzentrierte, aber er wusste, dass ich da war.
»A
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