Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)
wollen sie nicht so recht glauben. Eher daran, dass Patienten noch schneller durchs Klinikum geschleust werden, als es unter den neuen Fallpauschalen ohnehin schon der Fall ist, besonders die schwierigeren Fälle. »Die Privaten wollen Gewinne machen, chronisch Kranke stören da das Betriebsergebnis«, ist der Gießener Betriebsratsvorsitzende Klaus Hanschur überzeugt. Und warum ein privater Klinikkonzern, der nur für die Krankenversorgung zuständig sein wird, ein Interesse an Grundlagenforschung haben soll, ist ihm und seinem Marburger Kollegen schleierhaft. Er denkt, dass auf diesem Weg die Forschung und Lehre am Patienten, die ja weiter hoheitliche Aufgabe sein sollen, leiden könnten und Zeit und Arbeitskraft vor allem dem Unternehmen zugute kommen, das mit der Krankenversorgung Geld verdienen will. Für ihn also eine Subventionierung der Krankenversorgung durch Forschung und Lehre. Besonders sorgen sich die beiden allerdings um die Arbeitsplätze. »Aus anderen Privatisierungen ist ja bekannt, dass bei solchen Übernahmen reihenweise Stellen gestrichen werden.«
Streichen können aber auch andere. Denn während sich die Betriebsräte über die Zukunft sorgen, nimmt das Stellensparen schon munter seinen Lauf. Seit 2004, seit Bekanntwerden der Pläne Roland Kochs, sind in Marburg und Gießen bereits fast ein Zehntel der ursprünglich 10500 Mitarbeiter eingespart worden. Die Braut wird aufgehübscht für die Hochzeit.
Geheiratet wird im Januar 2006. Kurz vorher wird verkündet, dass der in Bad Neustadt an der Saale ansässige Rhön-Konzern den Zuschlag der Landesregierung bekommen hat und für 112 Millionen Euro 95 Prozent der fusionierten Uniklinik Gießen-Marburg, kurz UKGM , erwerben wird. Das Land behält eine fünfprozentige Beteiligung. Die Bereiche Forschung und Lehre sollen davon unberührt und weiter hoheitliche Aufgabe bleiben. Wie groß der Drang der Landesregierung zu diesem Schritt ist, macht schon der Kaufpreis deutlich; denn allein der Wert der Immobilien in Marburg liegt um ein Vielfaches darüber, ganz abgesehen davon, dass in den vergangenen Jahren Bund und Land in dreistelliger Millionenhöhe in den Standort investiert haben.
Trotzdem ist Andreas Neubauer über die Entwicklung nicht unglücklich. In den vergangenen Wochen durfte er einigen Beteiligten beim Bieterverfahren immer mal über die Schulter gucken, bei der Frage nach seinen Quellen grinst er aber nur verschmitzt. »Jedenfalls hat der Betreiber den Zuschlag bekommen, der die größte Lust auf Lehre und Forschung signalisiert hat«, sagt er. Seine Hoffnung ist, dass nun wieder Ruhe einkehrt am Uniklinikum, Ruhe, die er für seine Arbeit in der Leukämieforschung dringend braucht. Von Rhön verspricht er sich die schnellsten und auch die größten Investitionen.
Und Rhön legt auch gleich los. In Gießen wird innerhalb kürzester Zeit ein Zentralgebäude errichtet, das sowohl innen als auch außen keinen Vergleich scheuen muss, und in Marburg macht man sich daran, das zweite Protonentherapiezentrum an einer Uniklinik in Deutschland zu bauen; die Kosten alleine dafür belaufen sich auf über 100 Millionen Euro. Die riesige Apparatur wird in der Krebstherapie eingesetzt, um Bestrahlungen schadhafter Krebszellen punktgenau durchzuführen und nicht, wie es bei anderen Bestrahlungsmethoden der Fall ist, das Gewebe vor, hinter und um den Tumorherd zu zerstören. Ein solches Zentrum gibt es in Deutschland bislang nur in München und an der Uniklinik Heidelberg. Dort werden vor allem Studien durchgeführt für einen möglichst genauen Einsatz der Apparatur zur Behandlung am Patienten. In Marburg soll die Protonentherapie von Beginn an gewinnbringend arbeiten und dazu beitragen, den Wissenschaftsstandort dauerhaft zu sichern. Roland Koch legt darauf besonders großen Wert. Seine Vision der Privatisierung besteht auch darin, ein »Zentrum der nationalen Exzellenz« 62 zu schaffen. Unter anderem deswegen war der Bau des Protonentherapiezentrums auch Bestandteil einer Zusatzvereinbarung beim Kauf durch Rhön.
Der Anfang des Aufruhrs
Ein paar Jahre wurde es still um das Universitätsklinikum, bis 2009. Da macht sich plötzlich Widerstand breit. In einem Internetforum namens »Rhönwatch« häufen sich Klagen von Beschäftigten und Patienten über die Unikliniken. Zu wenig Zeit für die Patienten und Überforderung des Personals, steht dort zu lesen. Aber nur für kurze Zeit. Nach wenigen Wochen wird das Forum wieder geschlossen. Auf Druck der
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