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Entfesselt

Entfesselt

Titel: Entfesselt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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Verwandtschaftsbeziehungen jahrhundertelang mündlich überliefert. Wer schon mal »Stille Post« gespielt hat, wird meine Skepsis verstehen, ob diese Storys auch nur entfernt der Wahrheit entsprachen. Aber Thomas berichtete von vielen Geschäften mit anderen Unsterblichen und erwähnte auch, was er von anderen Familien oder Personen wusste. Er bemühte sich, ein echter Historiker zu sein, was ganz interessant zu lesen war - wenn auch etwas trocken.
      Ich fragte mich, wie weit sich meine Vergangenheit zurückverfolgen ließ, wie viel meine Eltern über ihre Vorfahren gewusst hatten. Mein Vater hatte eine Bibliothek gehabt - damals eine Seltenheit, aber einem Herrscher durchaus angemessen. Natürlich waren alle Bücher in dem Feuer, das Erik, der Blutrünstige, entfacht hatte, zu Asche verbrannt. War unsere Familiensaga darunter gewesen? Oder das Tagebuch meines Vaters?
      Wenn es doch nur einen anderen Weg, eine andere Quelle gäbe, um herauszufinden, woher meine Familie kam und was sie getan hat.
      Als mir schließlich der Schädel brummte (bis jetzt hatte ich sieben Schreibweisen des Wortes »Chronik« gefunden), legte ich eine Schokoriegelverpackung als Lesezeichen in Morcrofts Wälzer und schlug stattdessen ein Buch über Kristalle auf. Eigentlich interessiere ich mich mehr für Kristalle und Edelsteine, wenn sie in Gold gefasst sind und dekorativ an meinem Körper hängen, aber sie sind auch so faszinierend. Ich meine, im Grunde besteht unser ganzer Planet nur aus Dreck und Wasser. Und überall auf der Welt haben physikalische Ereignisse Teile des Drecks in fantastische kristalline Formen jeder nur denkbaren Farbe verwandelt. Schon sehr früh hat die Menschheit diesen ungewöhnlichen Steinen besondere Bedeutung und besonderen Wert zugemessen. Und heute kann man sich jahre- oder sogar jahrzehntelang damit beschäftigen, sie zu studieren, wenn man das will.
      Was ich im Übrigen nicht wollte. Aber ich hatte nichts dagegen, ein paar Bücher durchzublättern, mir die hübschen Bilder anzusehen und mir die wichtigsten Informationen einzuprägen. Nehmen wir zum Beispiel Salz. Seit frühesten Zeiten gilt Salz als heiliges Mittel, um -  
    Die Tür des Arbeitszimmers ging auf, aber ich machte mir eifrig Notizen und wollte damit weitermachen, bis wer-immer-da-gekommen-war zur Kenntnis nahm, dass ich mir eifrig Notizen machte. Dann schaute ich auf, bereit, mich in dem tugendhaften Gefühl zu baden, dass ich ganz freiwillig lernte, doch ich musste feststellen, dass es ... Joshua war. Er wirkte ausgeruhter und trug saubere Sachen. Seine Haare waren noch nass vom Duschen. Trotzdem sah er immer noch nicht allzu zivilisiert aus. Wie noch jemand, den ich kannte.
      Er ließ die Tür hinter sich offen und seine braun gefleckten Augen huschten über mich, den Raum und die vernagelten Fenster hinweg. Reyn machte das auch immer - sich jedes Zimmer einprägen, das er betrat. Es hat eine Weile gedauert, bis ich den Grund dafür erkannte: Er konnte einfach nicht anders, als nach einem Fluchtweg Ausschau zu halten. Nur für den Fall, dass ihn ohne Vorwarnung eine rivalisierende Horde überfiel. Hier, im modernen Massachusetts.
      »Was willst du?«, schoss ich meine Eröffnungssalve ab. »Asher sagt, dass ich seine Bücher benutzen darf.« Joshuas Stimme war tief und gleichmäßig, nicht so rau und kratzig wie die von Jess, aber weit entfernt von der gepflegten Sprechweise seiner Brüder.
      Ich wedelte mit einer Hand in Richtung der niedrigen Regale unter den Fenstern. »Tu dir keinen Zwang an.«
      Er bewegte sich genau wie Reyn mit der kontrollierten Anmut eines Raubtiers. Ich hatte Reyn vor ein paar Hundert Jahren als Krieger in Aktion erlebt - damals war er angsteinflößend, blutrünstig und gewalttätig. Er und sein Clan hatten die Nordländer - und damit auch mich - viele Generationen lang terrorisiert, bis ich schließlich weit genug nach Süden zog, um aus ihrer Reichweite zu kommen. Es war immer noch merkwürdig für mich, ihn als den heutigen Reyn zu erleben, den Welpenfreund, Kühemelker, Schwertkampflehrer, Meisterküsser und Herzensdieb, als den ich ihn mittlerweile ein wenig kennengelernt hatte.
      Und hier war Joshua, eindeutig kein Nordmannkrieger, kein Wikinger, aber mit all den Berserker-Qualitäten, die ich aus eigener Erfahrung kannte. Und er war wegen mir hier.
      »Ich meinte, was du von mir willst.« Ich sprach zu seinem breiten Rücken. Der braune Pullover spannte sich über seinen Schultern,

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