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Entfesselt

Entfesselt

Titel: Entfesselt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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erfahren würde.
      Während ich alles über die verschiedenen Rituale las, für die Mondsteine gebraucht wurden, musste ich wieder an Rivers Rat denken, mir ein größeres Projekt zu suchen. Bis jetzt war mir nichts eingefallen. Ich konnte mich ja kaum allein anziehen und ernähren, geschweige denn, etwas Größeres bewältigen. In der Vergangenheit war es immer nur darum gegangen, möglichst viel Geld zu verdienen. Die meisten meiner Unternehmungen waren erfolgreich: Mein kleiner Stoffladen in Neapel. Die Jahrzehnte als Diebin. Meine Zeit als Ölbaronin in Texas. Aber das letzte echte »Projekt« hatte ich vor hundertfünfzig Jahren am Start, nämlich in Kalifornien zur Zeit des Goldrauschs. Wer diesen Goldrausch nicht miterlebt hat, kann sich nicht vorstellen, wie es damals war. Es war wirklich ein Fieber, das die ganze Welt infizierte. Ich war in Frankreich, als in den Zeitungen nur noch von den Flüssen voller Gold berichtet wurde.
      Und kurz darauf wurde der Anschluss Kaliforniens an die Vereinigten Staaten verkündet. Was für ein Zufall.
      Da ich gerade Lust auf ein Abenteuer hatte, nahm ich ein Schiff nach New York und fuhr mit dem Zug so weit nach Westen, wie es ging. Dann schloss ich mich einem dieser Wagentrecks Richtung Kalifornien an.
      Nach unserem Aufbruch in Ohio dauerte die Reise vier Monate. Auf den zweiundfünfzig Wagen reisten nur drei Frauen und ich war die einzige Unverheiratete. Aber ich hatte genug Geld, um .mir zwei kräftige Pferde, einen gut gebauten Wagen mit Planendach und ein paar praktische Dinge zu kaufen. Wie zum Beispiel einen riesigen Schäferhund und ein ganzes Waffenarsenal.
      Am Ende der Reise waren gerademal fünfzehn Wagen übrig. Über dreißig Leute waren gestorben. Wir waren an unzähligen Haufen aufgegebener Vorräte vorbeigefahren, an toten Pferden, Ochsen und Kühen, zerbrochenen Wagen und menschlichen Überresten, die zu begraben niemand Zeit hatte. Als wir Sacramento erreichten, wog ich noch fünfundvierzig Kilo, hatte es längst aufgegeben, mich zu waschen, und meine drei Kleider waren eigentlich nur noch Fetzen.
      Ich ließ mich nördlich von Sacramento in einer Zeltstadt namens Hastings Bar nieder. Als ich dort ankam, bestand Hastings Bar aus zehn Zelten. Nach drei Monaten war es eine Stadt mit fast zwölftausend Menschen und es kamen jeden Tag etliche Hundert dazu. Ich sage Menschen, aber eigentlich waren es fast nur Männer. Es gab keine Polizei, kein Gericht und keine Gesetze, abgesehen von denen, die die Einwohner selbst aufstellten. Von den zwölftausend Männern lebten mehr als elftausendfünfhundert in Zelten, im Sommer wie im Winter.
      Die Häuser und anderen Gebäude, die dort entstanden, waren hastig zusammengenagelt worden, denn bei jedem Brett, das sie sägten, und jedem Nagel, den sie einschlugen, dachten die Männer nur ans Gold. Aber mein Etablissement war stabil genug.
      Mein Name war Charity Temple und ich erzählte allen, ich wäre Witwe. Ich führte eine Mischung aus Hotel und Bordell und verdiente in achtzehn Monaten fast eine Million Dollar. In der Währung der 1850er-Jahre, wohlgemerkt.
      Das war ein erfolgreiches Projekt gewesen und ein großes noch dazu.
      Ich musste schmunzeln, weil mir wieder einfiel, wie ich einen Möchtegern-Dieb mit dem Gewehr bedroht hatte - sein Gesichtsausdruck war unbezahlbar gewesen. Da wurde mir bewusst, dass Joshua mir immer noch gegenübersaß und sein   Blick Löcher in meine Stirn bohrte.
      »Was willst du?«, fragte ich ihn gereizt.
      »Ich will, dass du meine Schwester in Ruhe lässt.« Seine ganze Körperhaltung war bedrohlich.
      Ich runzelte die Stirn. »Wie wär's, wenn wir uns darauf einigen, dass River ein großes Mädchen ist und eigene Entscheidungen treffen kann?«
      »Wie wär's, wenn du verschwindest und nie wiederkommst?
      Wie wär's, wenn du zu deinem Meister zurückgehst und ihm sagst, dass er sich mit den falschen Leuten angelegt hat?«
      Jedem normalen Menschen hätten seine finstere Miene und die versteckte Drohung sicher Angst gemacht. Aber wenn man genügend Kriege, Hungersnöte, Angriffe und Ähnliches durchgestanden hat, braucht es schon mehr als einen fiesen Blick, um das große Flattern zu kriegen.
      »Weißt du was? Eines Tages wird dein Gesicht zerfurcht sein von Zornesfalten«, sagte ich betont gelangweilt und stand auf. »Und dann, mein Freund, sind deine Tage als Frauenheld gezählt.« Ich rauschte aus dem Zimmer, während er noch nach den

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