Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Entfesselte Energien (Band 1)

Entfesselte Energien (Band 1)

Titel: Entfesselte Energien (Band 1) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Collmann
Vom Netzwerk:
sprang sie schnell über den sonnenglühenden Platz hinüber in die machtvolle Kastanienallee. Eigentlich wollte sie dann über das kleine Brückchen zum Uhland Denkmal hinüber und die Neckarhalde hinaufsteigen, aber sie sah rechts aus der Stadt heraus einen langen Zug Soldaten kommen, mit Maschinengewehren, Transportwagen und, wie es schien, auch Geschützen, das raffte ihre Lebensgeister wieder auf und zog sie in einen ganz anderen Bereich. Soldaten in feldmarschmäßiger Ausrüstung hatte sie von jeher gern gesehen. Also eilte sie durch die Platanenallee und stieg zur Eberhardbrücke hinauf. Kaum konnte sie sich einen Weg bahnen durch die Menschenmassen, die sich zu beiden Seiten an der Brüstung drängten. Aber es war gut so, es achtete wenigstens keiner auf sie, alle Augen hingen an den Feldgrauen, die merkwürdig ernst und unbeteiligt geradeaus blickten, als wäre es so kommandiert worden. Es dauerte lange, bis der Zug vorüber war. Zum Schluss kamen noch einige offene Autos mit Offizieren, man sah Orden aufblitzen, ‘‘hohe Tiere’’ schienen darunter zu sein.
    Gleichgültig wollte sich Tess abwenden, für Offiziere hatte sie eben wenig übrig, die waren ihr seit einiger Zeit leid. Aber, was war das? Ein ganz vertrautes und – sehr sympathisches Gesicht! Zwei Sterne auf der Brust! Goldene Brille. Im ersten Augenblick fuhr ihr der Gedanke durch den Kopf: So müsste Riemenschneider aussehen, wenn er eine Übung machte und sich den Bart abnähme. Und da hielt auch schon das Auto, das ja ganz langsam fahren musste, gerade vor ihr. Der Offizier erhob sich mit einem feinen Lächeln, grüßte und – stieg aus.
    „ Gott! Vetter Leonhard?“
    „ Ja Tess, ich bin ‘s.“ Er schlug nur leicht die Hacken zusammen und schüttelte ihr herzlich die Hand.
    Tess schluckte, die übermäßige Spannung der letzten Tage entlud sich etwas zu plötzlich. Bin ich so herunter mit meinen Nerven, dachte sie. „Lass mich nur ein Stückchen heulen. Leo, es ist gleich vorbei.“
    „ Worüber bist du traurig, oder freust du dich wirklich so, mich wieder zu sehen?“, raunte eine dunkle, für einen Offizier merkwürdig weiche Stimme an ihrem linken Ohr. „Aber einen Augenblick!“ – er rannte zu dem Auto zurück und gab eine kurze Anweisung, auch das ohne die übliche Befehlsgestik, in feiner, gewählter Sprache, mit einer leicht winkenden Handbewegung.
    Der erste Offizier, der nichts darauf gibt, seinen Körper, seine Mä nnlichkeit zur Schau zu stellen, dachte Tess bei sich. Und doch scheint er schon ziemlich hoch im Generalstab zu sitzen.
    „ Verzeih, liebe Base! Aber jetzt sind wir für einige Minuten unter uns. – Sag mal, trägst du eigentlich Trauer?“
    Tess sah ihn weh an, wie ein verwundetes Reh. „Amalie ist mit dem Pferd gestürzt!“
    „ Tot?“
    Tess nickte. „Und Vater …“ sie schluchzte bitter auf.
    Ein lieber Arm legte sich leise um ihre Schulter. „Dein guter Vater?“
    „ Ihn rührte der Schlag.“ Tess schluckte es tapfer herunter und sah steif geradeaus.
    Der Offizier hielt sie behutsam an sich gelehnt, lange sprach keiner ein Wort. – „Ich bin schon seit 8 Tagen unterwegs“, fuhr er dann fort, „deshalb weiß ich wohl von allem noch nichts. – Dort bist du zuhause? Darf ich kurz mit hinaufkommen?“
    Tess strich ihm leise über die Hand und warf einen behutsam tastenden Blick nach ihm hinüber. Und da sie seinen fragenden Augen begegnete, dankte sie ihm mit einem tiefen, langen Blick. Oben angekommen sagte sie: „Bitte, setz dich, ich komme sofort wieder.“
    Als sie wieder eintrat, stand Leonhard von Rechberg auf, legte ihr beide Hände auf die Schultern und sagte warm: „Du bist das tapferste Mädchen, das ich je gesehen habe. Bitte besuch uns bald in Berlin, damit ich dich mit meiner Frau bekannt mache. Sie ist viel allein, wie du dir denken kannst, sie wird dich herzlich aufnehmen.“
    Tess lächelte lieb und froh, während ihr noch immer die dicken Tränen über die Wangen liefen.
    Der Offizier ging versonnen mit langen Schritten durchs Zimmer, die hohe, schlanke Gestalt leicht gebeugt, vielleicht weil das Zimmer zu niedrig schien, als dass er sich zu voller Höhe aufrichten konnte. „Du studierst, Tess?“, begann er nach einer Weile. „Was studierst du?“
    „ Chemie.“
    Er zog die Augenbrauen bedeutend in die Höhe. „Das nenne ich Mut. – Hast du einen guten Dozenten hier?“
    Ein ganz leises Rot huschte über Tessis Gesicht, wodurch sie noch schöner wurde, wenn das noch

Weitere Kostenlose Bücher