Entfesselte Energien (Band 1)
– Nun. Sie kennen sie ja auch.“
Tess stand fast das Herz still. Obwohl sie’s ja eigentlich schon längst wusste, aber dieses Geständnis von ‘‘Ihm’’, von ihren ‘‘Perikles’’! Eine Welt versank vor ihren Augen. Und dann begann das Herz zu schlagen, in schweren Hammerschlägen. Bis zu den Schläfen hinauf pochte es. Und es wogte wie ein Meer durch alle Kammern ihres Inneren. Eine Glutwelle stieg ihr bis in die Augen, alles verschwamm vor ihren Blicken. Nur fort! Fort! Dass ich nicht aufschreie! Es ist ja alles aus.
Aber ehe sie noch die Türe erreicht hatte, war er an ihrer Seite. Ganz eifrig sprach er auf sie ein und sie hörte zu, obwohl sie lange Zeit kein Wort von dem verstand, was er sagte. Einen Apparat hatte er dort in dem Schrank eingeschlossen gehabt, scheinbar einen sehr wichtigen Apparat . Sie wusste gar nicht, was für einen Apparat er meinte, aber er sprach immer weiter von ‘‘dem Apparat’’. Irgendjemand müsste daran gewesen sein, obwohl der Schrank noch verschlossen war, als er daran ging. Und dann lachte er, wirklich und herzlich lachte er; die Drahträhmchen aus dem Inneren der Röhre – was für einer Röhre, dachte Tess – habe der Dieb entwendet. Was für Gedanken er sich wohl darüber machen würde!
„ Ist es ein schwerer Verlust für Sie?“, brachte Tess endlich heraus.
Aber er lachte noch immer. Und endlich verstand er – oder hatte er nur so getan, der Gute? „Sie wissen ja gar nicht, wovon ich spreche. – Aber bleiben sie doch noch eine Minute, dass ich ihnen das erzähle!“
Er strich über ihre Schulter so meinte sie wenigstens zu spüren – und führte sie wieder zu dem Sessel. „Setzen sie sich doch! – Was meinen Sie, wie wir das herausbringen, wer dieses Drahträhmchen entwendet hat?“
„ Ist es wertvoll? Glauben Sie, dass der Dieb es verkauft?“
„ Ach nein, das ist doch meine – mein Versuch! Und irgendjemand will mich ausspionieren.“
„ Ach so, darum hat man ihn gestohlen? Ist nun alles verraten?“
„ Nein!“ Riemenschneider beugte sich zu ihrem Ohr und sprach leise: „Wir ahnten dies, wir waren auf der Hut und haben den Spionen einen falschen, einen völlig nutzlosen Apparat stehen gelassen.“
„ Und den hat er auch prompt gestohlen?“ Ehe sie sich’s versah, lachte jetzt auch Tess, als sie in Riemenschneiders fröhliches Gesicht sah. So guter Laune hatte sie ihn noch nie gesehen. „Aber wo machen sie nun ihre eigentlichen Versuche? – Oder sind sie schon fertig?“
„ Nein, die Hauptsache kommt noch. Wollen sie mir dabei helfen?“ Dies Letztere schien ihm so herausgefahren zu sein, es war, als schlüge er sich auf den Mund. Soweit wollte er wohl doch nicht gehen in seinem Bemühen zu trösten. Aber es war einmal gesagt, nun musste man auch dazu stehen. Er gab sich einen Ruck und fragte ernsthaft und voll vertrauter Bedeutung: „Können sie schweigen, Fräulein von Leudelfingen? – sie sind zwar – hm – von Geburt eine Frau, aber ihr Verstand ist – hm – doch eigentlich sehr männlich.“
Tess wurde rot, aber sie merkte es nicht in ihrem strahlenden Glück. „Glauben sie wirklich Herr Doktor, dass ich ihnen helfen kann?“
„ Schwer ist es nicht, was sie zu machen hätten, wenn sie nur …“
„ Ich verstehe! Darauf können sie sich, glaube ich, verlassen bei mir.“
„ Ja. Sie sind ein fester Charakter, ich sehe es an ihren Augen.“ Er betrachtete sie eine Weile, wie einen Apparat, den man abschätzt, was man von ihm wohl erwarten kann. – „Sehen Sie, mein Famulus, der mir sonst half, ist plötzlich krank geworden, es kann wohl acht Tage dauern – und die Versuche drängen sehr. – Wollen Sie?“
„ Ich will!“ Tess sah ihn fest an und schlug in die dargebotene Hand. Dann ging sie hinaus. In das Praktikum zu gehen – in dieser Stimmung – ganz unmöglich! Schnell hinaus ins Freie! Irgendwohin! Nach Lustnau? Nach Bebenhausen? Ganz gleich, nur keine Menschen sehen! Aber ausgerechnet Franz, der ihr so liebgewordene Freund, den sie so lange nicht mehr gesehen hatte, kam ihr entgegen.
„ In Trauerkleidung – und mit so strahlendem Gesicht? Wie reimt sich das zusammen, Tess?“
„ Denk dir, du, ich soll …“ Gleich schlug sie sich auf den Mund. „Beinahe hätte ich’s doch verraten.“
„ Was?“
„ Ach, nichts! Ich habe Trauer und bin doch so glücklich wie noch nie zuvor. Du hältst mich sicherlich für gefühllos? Aber du wirst mich noch verstehen. Weißt du übrigens, was
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