Entfesselte Energien (Band 1)
dachte Tess, musste dann aber doch lächeln: Geheimrat Sertorius als Bantuneger! Aber ich muss doch recht sehr bitten, solch absolut ungehörige Vergleiche!! – Ach Gott! Sertorius, von dem erzählt wird, dass er nur drei ‘‘wirklich ganz große Chemiker’’ kenne; erstens: Emil Fischer in Berlin, zweitens: Wislicenus in Leipzig, aber der hat seinen Höhepunkt schon überschritten, und den Dritten – kann ich ihnen aus Bescheidenheit nicht nennen.
Einige Seiten weiter las sie: ‘‘Diese Verfeinerung, Entmenschlichung bewirkt, dass seine den Europäern noch wesentlich unbekannten inneren Organe auf Schwingungen ansprechen, die mit keinem materiellen Apparat mehr zu erfassen sind. Vor allem an die Gedankenwellen ist hier gedacht; jeder klar und mit bedeutender Energie ausgesandte Gedanke schlägt in der Welt des Menschen Wellen, wie der Wind im Wasser, wie der Schall in der Luft oder wie das Licht im Äther. Ein gut ausgerüsteter Forscher kann die Gedanken seiner Umgebung, selbst bis in weite Ferne hin abhören, wie eine Antenne auf die Radiowellen anspricht.’’
Tess warf das Buch hin. Dann könnte ich alle Gedanken Riemenschneiders abhören? Gleich würde ich mich auf seine Welle abstimmen. O, ganz und …
Sie hörte h astige Schritte auf dem Flur – es klopfte an die Türe. Heftig fuhr Tess zusammen, das „Herein“ kam ärgerlich genug heraus. – Franz stürmte ins Zimmer. Gleich entspannte sich ihr Gesicht, sie sprang auf und schüttelte ihm kräftig die Hand.
„ Sehr fein, dass du kommst!“
„ Ich komme nur mal so aus dem Labor herüber.“
„ Du hast mir nichts übel genommen?“
„ Was denn?“ Die Locken wurden zurückgeworfen, die ‘‘Blauguckerl’’ strahlten.
„ Ich war gestern garstig zu dir.“
„ Ach wo!“ Ein leichter Schlag, freundschaftlich auf die Schulter, fegte das fort. „Du, was hast du eigentlich für Wunden im Gesicht? Und da am Arm?“
„ Nun setz dich mal hin, Franz!“
Er ließ sich, wo er stand, auf eine Tischecke nieder, eins der schlanken langen Beine ziemlich weit ins Zimmer hineingestreckt.
Ein feines Lächeln unterdrückte Tess und begann: „Alles darf ich dir nicht sagen, Franz.“ Sie hielt ihn an den beiden Zipfeln seines strohgelben Hemdkragens. Er schaute – schaute strahlend sauber und unverwirrt. Keine soll diese hellblauen Spiegel trüben, dachte Tess und fuhr fort: „Riemenschneider hat mich – seit Ebersbach krank ist – zu seinen Experimente hinzugezogen.“
„ Donnerwetter!!“ Franz riss sich los und fuhr hoch. „Was habt ihr gemacht?“
„ Ja, das …“
„ Ah so!“
„ Ich habe einen Eid schwören müssen.“
Nur einmal riss da s liebe Bubenlächeln bei ihm ab, die Augen in dem etwas zur Seite gelegten Antlitzes verloren aber keinen Augenblick ihre Falkenschärfe.
Tess gab ihrem Handtäschchen auf dem Tisch unmerklich die rechte Richtung und knipste zweimal aus ihm heraus. Er ahnte nichts von dieser neuen Geheimkamera. – „Nur das kann ich dir sagen. Franz, es war blendend!“
Er schaute – umfing sie mit Blicken – durchstrahlte sie mit seinen Blauguckerln. „Brillant!“
„ Leider …“
„ Explodierte es? – Sprengstoffe?“
„ Nein, Elek …“ sie schlug sich auf den Mund.
Er lachte diebisch auf, schaute aber immer noch. Tess sah ihn an. „Du, ich will …“
„ Was??“
„ Er braucht bestimmt bald noch mehr Hilfe. Ich will dich vorschlagen.“
„ Tess!!!“ Er griff sie an den Armen und wirbelte sie wie ein Rad im Zimmer herum.
Sie riss sich los und floh hell auflachend in die äußerste Ecke des großen Raumes. „Du kannst schweigen?“
„ Ach, freilich!“
„ Willst du denn auch?“
„ Ei verflucht! Ob ich will!!“
„ War er heute im Institut?“
Franz stand plötzlich wie vom Schlag gerührt. „Du, das hab ich ganz vergessen!“
„ Was?“
„ Er ist Professor geworden!“
„ Grad heute?“
„ Wir hörten’s heute. Er war nicht da.“
„ Nicht da? Nicht im Institut? Dann ist er nach München geflogen.“
„ München? Warum nach München?“
„ Um den neuen Apparat! Den will er sich in München bauen lassen, raunte er mir noch zu.“
„ Da? Ach so!“
Tess schlug ihn lachend. „Jetzt ist Schluss! – Hast du Nachricht von zuhause?“
„ Ja, es soll ganz gut gehen mit deinem Bruder, da die Großmutter ja noch immer die Hand über allem hält.“
„ Ist sie noch wohl auf?“
„ Sie muss doch, sie geht noch immer durch alle Ställe und Scheunen – an
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