Entfesselte Energien (Band 1)
war. – „Da unten kommen jetzt erst Korrens und Wedekamp, die Unzertrennlichen.“
Franz lachte mit. „Sie werden auch mal an demselben Tag in das Examen steigen.“
„ Und gemeinsam durchrasseln!“
Die beiden lachten sich alles von der Seele und lachten noch, als die anderen bemoosten Häupter herangekommen waren.
„ So lustig?“, fragte Wedekamp und feixte selbst gern mit über sein ganzes breites, behagliches Antlitz, das immer einen Glanz wie von eben genossenem Gänsebraten trug.
Korrens trat eben mal an die eiserne Gartentüre heran und lugte durch die Gitterstäbe. „Wahrhaftig, da hocken die Giftmischer schon wieder zusammen.“
„ Wer?“ – „Wer?“
„ Na, der lange Zeus! Die Chemie zwischen der Physik und der Mineralogie.“
Die anderen drängten sich heran und schauten neben und über ihm hindurch.
„Seht doch nur“, raunte Franz Sellentin, wie albern und schwächlich er die gespreizten Finger auf den Tisch setzt! Genau, wie er im Kolleg auf dem Katheder steht.“
„ Aber eine Havanna hat er kokett in den Mundwinkel geklemmt!“
„ Wahrhaftig, seine Herrlichkeit raucht!“
„ Der lange Zeus mit einer Zigarre! Hat keiner einen Fotoapparat da?“
Tess war die Erste, die den Weg zur Wirklichkeit zurückfand. „Was mögen die Drei da verhandeln! Sie sehen nicht aus, als ob sie ein Vaterunser sprächen.“
„ Wenn einer ums Haus herum sich in das Gebüsch dahinten schleichen könnte!“, meinte Franz.
„ O, das traue ich mir schon zu“, flüsterte Korrens. Er machte sich sofort auf den Weg.
„ Und nachher aber gleich berichten!“, rief ihm Wedekamp verhalten nach.
Die Zurückbleibenden gingen ein wenig auf der Straße auf und ab, bis andere Gäste kamen. Da traten sie in den Garten ein, gleich kam auch Korrens so wie von ungefähr ums Haus herum.
„Na?“, fragten die Drei in einem Atemzug.
Korrens zog sie beiseite, ganz aufgeregt vor Ungeduld und Empörung. „Es ist nicht zu glauben!“
„ Was?“ – „Was??“
„ Wir müssen unbedingt unseren Riemenschneider warnen.“
„ Da!“, zeigte Tess, „gerade ist er hinter uns eingetreten.“
„ Schon im Haus?“
„ Da, in dem Knäuel ist er mitten drin.“
„ Donnerwetter!“
„ Also was haben die alten Knacker dort gesprochen?“
Korrens zog die Drei noch weiter beiseite. „Sie sind alle drei giftig auf ihn, dass er eine so blendende Karriere macht.“
„ Natürlich!“
„ Ach, und so gemein! Er wäre dem Rektor in den Hinteren gekrochen – er hätte sich an die Partei ran geschlängelt – mit seiner neuen Atomtheorie das wäre alles Blech!“
„ Donnerwetter noch einmal!“
„ Schufte!“
„ Und da kann man gar nichts machen?“
„ Ich gehe zu Riemenschneider!“, sagte Tess mit tonloser Stimme, sie war ganz bleich geworden.
„ Na, hören sie noch weiter!“, raunte Korrens. „In der Nacht machte er heimliche Versuche – Aufbau von Atomen, was weiß ich! Wahrscheinlich will er Gold machen. Aber mit dem Gold des Staates bezahlt er die Versuche! So redeten sie.“
„ Ist ja ganz unerhört!“
„ Lassen wir uns nicht gefallen!“
Tess zeigte nach hinten. „Und da setzt er sich zu ihnen – ganz ahnungslos!“
„ Setzen wir uns an den Nachbartisch!“, rief Franz ganz ungeniert laut. „Kommt alle her!“
Mit diebischem Gelächter folgten sie . Sie setzten sich um den Tisch herum, keiner warf dabei einen Blick hinüber. Und dann gestikulierten sie, unterhielten sich mit größter Lebhaftigkeit, aber alles in Pantomime, keiner sprach ein Wort. Alle lauschten – lauschten – lauschten! Nur hin und wieder wagte mal einer einen verstohlenen Blick nach dem anderen Tisch.
Der Physiker, ein würdiger alter Herr in steifer Haltung sprach eben, er sprach mit etwas weinerlicher Stimme: „Gibt’s heute denn noch wahre Frömmigkeit?“
„ O!“, wagte Riemenschneider einzuwerfen.
„ Frömmigkeit, die sich durch die Tat erweist?“
„ Ich denke, Tatenlosigkeit kann man der heutigen Generation wohl nicht vorwerfen.“
„ Die Taten Hindenburgs“, beeilte sich der Physiker anzuerkennen, „sind über jeden Zweifel erhaben. Aber folgen ihm alle Deutschen so, wie er es von jedem Einzelnen erwarten könnte?“
Riemenschneider zuckte die Achseln und warf dann einen fragenden Blick auf den Sprecher; was beabsichtigte er mit der Äußerung?
„Frömmigkeit“, dozierte nun Geheimrat Sertorius, „ist ein weiter Begriff, ich meine, dass er von jeder Generation anders aufgefasst
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