Entfesselte Energien (Band 1)
Hände reichten, beide die hohe Stirne bescheiden gesenkt, beide das gleiche diskrete, gütige Lächeln um die schmalen Lippen.
Tess konnte sich kaum trennen von diesem Anblick, wieder wunderte sie sich über die auffallende Ähnlichkeit, die auf irgendwelche geheimen Zusammenhänge in verflossenen, fernen Epochen wies. An Konon und Euagoras dachte sie, als sie sich endlich losriss, um ihre Kameraden wieder aufzusuchen.
„Wohin gehen wir“, fragte der Major, „dass wir ganz ungestört über einige wichtige Fragen sprechen können?“
„ Am besten ist es, glaube ich, wir gehen dort draußen weiter den Berg hinauf, dort wird uns niemand belauschen können.“
Und so gingen sie. Sachte begann der Major über den Umweg seiner Base Tess das eigentliche Gesprächsthema, um das er die weite Reise gemacht hatte, aufs Tablett zu bringen.
Riemenschneider warf einen leicht prüfenden Blick auf seinen Begleiter. „Meine – hm – Mitarbeiterin hat mir erzählt, dass sie im Kriegsministerium sind, Herr Major?“
„ Im Generalstab!“, verbesserte der Gefragte. „Und mir hat sie soviel von ihnen – ich kann wohl sagen: vorgeschwärmt, dass sie mir eigentlich schon kein Unbekannter mehr sind.“
Riemenschneider lächelte nachsichtig. „Sie ist ein lebhaftes, außergewöhnlich kluges Mädchen, die gewiss noch einmal Bedeutendes leisten wird.“
„ Sie haben Versuche von sehr weittragender Bedeutung unternommen, Herr Professor. Und ich – ich darf gleich mit der Türe ins Haus fallen – komme hierher, um mit ihnen zu verhandeln, ob und wie weit es möglich ist, die von ihnen gefundenen Ergebnisse in den Dienst unserer Armee zu stellen.“
„ Das wäre natürlich die allerbeste Anwendung der Sache. Ich bin schon jetzt der Ansicht – ich neige allerdings zum Optimismus …“
„ Sehr gut! Nur Optimisten können uns voranbringen. Dem Optimismus verdankt Preußen seinen Aufschwung.“
„ Also ich bin der Ansicht, dass wir durch diese Kräfte, die wir bei unseren Versuchen freimachten, allen anderen Nationen überlegen sind – falls es geheim bleibt! An der Sache selbst ist nichts mehr zu rütteln, aber – wird es gelingen, in größerem Maßstabe diese Apparate zu bauen, ohne dass der eine oder der andere von unseren Nachbarländer dahinterkommt und uns alles nachmacht oder sogar, dank seiner finanziellen Überlegenheit, uns noch weit überflügelt? Ich denke da an die Giftgranaten. Sie wissen ja, wie es ging: Sie wurden zunächst an kleinen Frontabschnitten ausprobiert, der Feind fand Blindgänger, schickte sie zur Untersuchung nach Paris und in wenigen Tagen hatte er ein Gegenmittel bereit. Wir fanden stärkere Giftstoffe, inzwischen waren aber die Chemiker der Feinde auch nicht müßig gewesen, die Amerikaner schafften ganze Schiffladungen von Chlorverbindungen nach Frankreich, die Engländer fanden ihr ‘‘Fliedergas’’, die Franzosen machten uns das ‘‘Gelbkreuz’’ nach, kurz es war bald ein Giftschießen hüben wie drüben und genützt hat uns die Sache so gut wie gar nichts. – Nun stellen sie sich aber mal vor, wir hätten nicht gleich losgeschossen, sondern es erst in überwältigenden Mengen hergestellt, nur hergestellt, so lange, bis wir an allen Fronten an demselben Tag vollkommen überraschend die Feinde mit einem Trommelfeuer von Giftgasgranaten überschütten könnten, dann …“
„ Dann wäre möglicherweise der Krieg aus gewesen! Ich gebe ihnen vollkommen Recht, Herr Professor. Wir haben sehr schwere Fehler gemacht, nicht nur diesen! – Wir haben aber durch die Fehler gelernt, es wird in einem künftigen Kriege anders kommen. Die Lehren daraus haben wir schon gezogen.“
„ Sie glauben also, dass es Tausende bei uns gibt, die schweigen können?“
„ Ja, ich glaube es – nein, ich weiß es. Wir haben bereits einige Neuerungen eingeführt, von denen nicht einmal im Lande jemand eine Ahnung hat, geschweige denn unsere Feinde. Übrigens ist es ziemlich sicher, dass auch der Franzmann drüben Erfindungen ausprobiert, von denen wir nichts wissen. Es lassen sich also heute doch Dinge geheim halten.“
„ Dann will ich ihnen mein Geheimnis mitteilen, von dem bisher nur zwei Menschen – bis zu einem gewissen Grade – Kenntnis haben; mein Famulus Ebersbach und ihre Base Fräulein von Leudelfingen. Dass ich’s einer Frau anvertraut habe, war riskant, aber sie ist keine gewöhnliche Frau; sie ist nicht nur sehr klug, sondern auch selbstlos, Vaterlandstreu und von ganz
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