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Entfesselte Energien (Band 1)

Entfesselte Energien (Band 1)

Titel: Entfesselte Energien (Band 1) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Collmann
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Fahre von dort nach Berlin – Die Koffer nehme ich mit zu Franz, der gibt sie auf – An ‘‘Perikles’’ telegrafiere ich – Franz fährt schon voraus.“
    „ Ach Gott, Kindle! Was e Hetz !“
    „ Macht nix! Vielen herzlichen Dank für alles, liebe Tante! Und bleib gesund.“ Umarmung – Kuss.
    „ Sie schreiwe !!“
    „ Ich schreib!“
    Schon war sie wieder bei Ulli. „Komm hier herein! Hilf mir mit den Koffern!“
    Alles w ickelte sich so ab, wie sie es plante. Einigermaßen getröstet sauste sie auf der Landstraße der Heimat zu. Sie steuerte selbst. Aber zuhause sah es schlimm aus, mit einem entsetzlichen Lamento wurde sie empfangen; die Großmutter war schon tot. Ein harter Schlag für Tess. Für sie doppelt hart! Sie hatte die Großmutter sehr geliebt, sicher mehr als alle anderen, und – jetzt war das Gut vollkommen verwaist. Wenn sie nicht zugriff! Die Mutter verstand nichts von der Landwirtschaft und der Bruder hatte gar keinen Respekt beim Gesinde, sie tanzten ihm alle auf dem Kopf herum.
    Tess kniete nieder vor der geliebten Toten, fasste die blasse, welke Hand und hauchte sie an. Bitter weh war ihr zumute. Aber mit allen heißen Wünschen, Tränen und Gebeten hauchte sie kein Leben mehr hinein. Sie ging hinauf in ihr Turmzimmer, schloss sich ein und kämpfte mit sich, den Kampf zwischen ihren beiden Wesen, zwischen ihrem ‘‘Leudelfinger’’ und dem ‘‘Berliner’’ ich. Furchtbar hämmerte die Heimat auf diesem Schlachtfeld, gewaltige Truppenmassen konnte sie ins Feld führen gegen den neuen Feind, der sich da auf einmal gegen sie erhob. Alle die tausend lieben Erinnerungen aus der Kinderzeit, die immer süß und traut sind, wenn sie auch auf Dinge zurückgehen, die nicht immer lieblich waren, die auf dem kleinen Herzen oft schwer lasteten. Aber das Negative ist längst vergessen und nur der Duft und der Glanz des Schönen blieben übrig und der zauberhafte Schimmer, der sie wie pures Gold erstrahlen lässt. Und diese starken Gewalten sind auch noch machtvoll verbündet mit den Stimmen des Gewissens, mit den Mahnungen der Dankbarkeit, der kindlichen Treue und dann noch mit den Worten der Bibel: ‘‘Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren!’’
    Und gegen alle diese übermächtigen Gewalten auf der einen Seite steht auf der anderen nur d as Eine: die Chemie! Aber dies eine wiegt mehr als die tausend anderen. Oder es noch mal mit den Worten Heiligen Schrift: ‘‘Heimatlos, verbannt, waren die Menschen zu denen Jesaja sprach. Der Weg zurück, zurück zu dem, was gewesen, ist versperrt.’’
    Tess sprang auf. Ach, es ist ja gar keine Frage, wohin ich zu gehen habe. Was ich dort leisten kann, verhält sich zu dem, was ich hier – vielleicht – leisten würde, wie hundert zu eins. Alle meine Neigungen – und meine Kenntnisse – liegen auf dem Gebiet der Forschung. Hier würde ich höchstens etwas erreichen durch Energie, durch guten Willen, durch Nüchternheit. Aber warum ist mein Bruder nicht nüchtern? Warum rafft er sich nicht auf? Er hat doch nichts, was ihn wegzieht von seiner Arbeit hier. Er hat ja weiter nichts gelernt, hat keine anderen Interessen.
    Es klopfte an die Türe . Sie rief aber nicht herein. Es klopfte heftiger. Dann rief ihre Mutter: „Bitte, mach mir auf. Tess!“ Sie schwäbelte dabei nicht!
    Tess öffnete und ließ sie herein. Ein großer Wortschwall folgte; alles, was sie schon längst wusste, was sie mit anderen Worten schon zehnmal gehört hatte. Sie ließ alles über sich ergehen, sie antwortete mit keiner Silbe. Mehr und mehr kauerte sie sich in ihrem schwarzen, etwas unansehnlich gewordenen Trauerkleid zusammen, stierte regungslos vor sich ins Leere und weinte einige Tränen, die sie nicht abwischte von ihren Wangen. Verzweifelt ging die Mutter wieder fort.
    Dann kam der Verwalter, entschuldigte sich mehrere Male, brachte aber gleich Bücher mit zur Bekräftigung seiner Bitten. Es waren die Wirtschaftsbücher, die ihr Bruder geführt hatte. Lückenhaft! Schl ampig! Ganze Tage fehlten! Und in den Berechnungen schwere Fehler, kein Fünfklässler hätte eine solche Arbeit abliefern dürfen. Tess wollte ohnehin einen Blick hineinwerfen, aber was sie da sah, war so ungeheuerlich, dass sie sich nun doch hinsetzte und die gröbsten Fehler heraussuchte, die wollte sie ihrem Bruder vorhalten. Der Verwalter atmete sichtlich auf, also war sein schwerer Gang doch nicht umsonst gewesen. Sicherlich hatte die Mutter ihn heraufgeschickt und er – hatte sich

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