Entfesselte Energien (Band 1)
nein, noch nicht! Eben gerade untersuchte ich den Zusammenhang zwischen Licht und Elektronen.“ Während er dieses sagte, stutzte er, sah weit über Tess hinaus ins Leere, ergriff ihren Arm und schüttelte ihn. Aus allen Wolken brach sein Freudenstrahl und verklärte sein Antlitz. „Natürlich, das ist es!“, rief er ganz aufgeregt, noch völlig weltentrückt. „Durch Erwärmen der Drähte kommen die Elektronen zu weiteren Ausschlägen in ihren Schwingungen, lassen sich also leichter herausschießen.“ Er ließ Tess los wie einen leblosen Gegenstand und rannte zum Schreibtisch, wo er sofort einige hastige Notizen machte.
Die beiden Frauen sahen sich an; Lore lächelte entschuldigend. Tess fieberte vor Begeisterung. „Er ist brillant!“, raunte sie der Schulfreundin zu.
Schritte kamen die Treppe herauf. „Schade!“, rief Tess. Die Türe im Hintergrunde wurde weit aufgemacht, knarrend und schleifend, die Mutter erschien und brachte die ganze Gesellschaft von unten mit. Als Riemenschneider sie sah, löschte er das hohe Licht aus, aber ein anderes zündete er an. Gleich war er der liebevolle Gastgeber. Den Major begrüßte er wie seinen vertrauten Mitarbeiter. Aber wie bescheiden, voll Ehrfurcht der Major hier war! Tess glühte vor Stolz, der hohe Generalstäbler sah zu Riemenschneider auf wie zu einem Vorgesetzten. Sehr erfreut war Riemenschneider bei dem Wiedersehen mit seinem blonden Jung-Siegfried. „Jetzt habe ich alle meine Mitarbeiter wieder vereint, jetzt können wir gleich die Besprechungen beginnen.“
Die Mutter zog sich zurück, aber auf eine so dezente Art, wie es nur ein herzlieber ‘‘Schwob’’ fertig bringen konnte. „Komm, Lore!“, rief sie, zur Schwiegertochter sich wendend, „nix wie naus aus dieser Satanskich! Wo se Gesälzgläser hawwe wie Kirschbäume un ne Kechelkuchel drauf von blanke Silwer.“
Ein Gelächter schütterte auf, wie es dieser ernste Raum wohl noch nie gehört hatte, selbst der gemessene Herr aus dem Generalstab lachte einmal herzlich auf.
„Mei Gott, was de Leit heit alle mache!“ , rief die Mutter, die allein ernst geblieben war.
„ Aber Frau Riemenschneider“, erwiderte der Major, „nicht heute! Nein! Ihr Sohn eilt damit seiner Zeit um Jahrzehnte voraus.“
„ Na, mir misse es abwarte!“ , rief die Mutter und ging, immer noch kopfschüttelnd hinaus, die Lore vor sich herschiebend.
Riemenschneider hatte inzwischen seine beiden jungen Assistenten an die Apparate geführt, wo er den staunenden Augen erklärte. Auf Zehenspitzen schlich sich der Major hinzu. Es war jetzt eine Stille, eine Andacht in dem Raum wie in einem Tempel, in dem der Hohepriester vor der schwelgenden Menge das Mysterium der Gottheit offenbart.
„Die Eisendrähte sind jetzt in ihrer Dicke abgestuft; in der ersten Röhre sind sie am feinsten, sie sind hier so hauchdünn, dass der Metallglanz nicht mehr wahrnehmbar ist, sie sehen fast aus wie Glas. Eigentlich müssten wir so weit gehen, dass wir Drähte von Atomstärke herstellten, dann hätten wir die Dinge in unserem Apparat so auf den Punkt genau, wie die Theorie es verlangt. Aber die Idealität der Theorie werden wir ja nie erreichen, wir müssen uns damit begnügen, dass wir ihr systematisch näher und näher auf den Leib rücken. Wir sind ihr mit dieser Röhre wenigstens schon so nahe gekommen, dass wir mit unserem Geschützfeuer die rotierenden Elektronen nicht mehr mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:30.000 treffen, wie beim ersten Apparat. Nein, wir treffen jetzt, da wir die Kugeldichte verhundertfachten und den Abstand der Alleebäume auf den dritten Teil reduzierten, mit dem neuen Apparat jede hundertste Elektron.“
Der gewaltsam zurückgehaltene Atem der Zuhörer wurde eben hörbar ausgestoßen, bei allen Dreien formte er nur das eine Wort: „Genial!“
„ In der zweiten, dritten und vierten Röhre konnten wir die Drähte nicht mehr so fein nehmen, dafür haben wir hier immer länger werdende Alleen, mehr Alleen und ein immer dichter werdendes Trommelfeuer. Wir mussten darum auch die letzte Röhre von ansehnlicher Dimension bauen.“ Riemenschneider legte bei diesen Worten seine Hand väterlich, fast zärtlich auf die ‘‘silberne Kegelkugel’’, welche diese Röhre krönte.
„ Und welche Energiesteigerung erreichen sie durch dieses Röhrenquartett?“, fragte der Major leise.
„ Nun, wir beginnen jetzt mit 100 Watt, steigern in der ersten und zweiten Röhre um das Zehnfache. In der Dritten und Vierten
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