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Entfesselte Energien (Band 1)

Entfesselte Energien (Band 1)

Titel: Entfesselte Energien (Band 1) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Collmann
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nicht sagen können. Sie suchte die Chilenin – Luschida war eben nicht zu sehen, vielleicht besorgte sie noch etwas an der Tafel. Und Franz? – Um Gotteswillen! Der saß wie auf einem Nagelbrett. Gleich läuft er mir aus dem Salon. – Gott sei Dank, da nimmt sich der Major seiner an.
    Und dann kam der erwartete Nachzügler, der geheimnisvolle Unbekannte, der vielfach Verheißene. Spornstreich’s begrüßte er die Dame des Hauses – nein, sie begrüßte ihn. Sehr vertraut! Mit auszeichnender Intimität! So etwas gibt’s hier auch? Tess spürte Spannung, das Gesicht zu sehen, das sich im Augenblick noch tief herabbeugte. – Ah so! Nun! – Beinahe hätte sie gesagt: ‘‘Donnerwetter!’’ Wo hatte sie ein solches Gesicht schon einmal gesehen? – Höchst fremdartig! Und doch irgendwie vertraut! – Herr Gott, das war – der Schauspieler in London! ‘‘Der Jago im Othello!’’ – ‘‘Ein ganz schlaues Aas!’’, würde Franz sagen.
    Nicht lachen. Er kommt! – Nein, das war wirklich nicht zum Lachen. Schaute er sie an? Oder schaute er sie nicht an? Irgendwie waren seine Augen nicht ganz klar zu sehen. – Ah, das waren nur die Spiegelungen der Kronleuchter. Ja, er schaute – er forschte – er durchbohrte. Er drang tief ins Innere vor. Sollte man kühl werden? Ihn zurückweisen, ihn zurechtweisen? Nein, man war gar nicht böse; der wollte nicht forschen, er musste so schauen, die Augen waren so. Vielleicht war es sein Beruf, seine Augen auf Entdeckungsfahrten auszuschicken.
    Die Majorin stellte vor: „Meine Schwipp Base, auch eine Rechberg! – Herr – hm – von?“
    „ Nein!“, verbat er sich schnell.
    „ Also: Herr Kirna!“
    Tess reichte die Hand, aber nicht erhoben zum Kuss, ganz studentisch drückte sie die dargebotene Rechte. Merkwürdig, er dachte auch gar nicht an einen Handkuss. Vergaß ers? Weil er wieder schauen musste? Offensichtlich erstaunte auch er von seiner Seite.
    Tess schlug alle Etiketten in den Wind und fragte kurzerhand: „Was sind Sie, Herr Kirner?“ Gleich erschrak sie. Aber er nahm’s gar nicht übel, er lächelte nur ganz kurz, vielleicht, weil sie so war, wie er sie sich gedacht hatte. Antwort auf ihre Frage freilich bekam sie nicht. Der seltsame, sehr gewandte Herr schnellte herum, nach der Türe spähend, und kehrte sofort wieder zu rück, keine Sekunde hatte er dazu gebraucht. „Gleich werden sie zur Tafel rufen, seien sie meine Tischdame!“
    Tess lächelte. „Das habe ich leider nicht in der Hand.“
    „ Wer hat – Ah so! – Pardon, einen Augenblick!“ Er glitt wie ein Schatten durch die Gruppen und stand vor der Dame des Hauses, mit der er ein paar Worte wechselte. Lächelnd kam er zurück und reichte Tess den Arm. „Es war schon richtig.“
    „ So, so!“, machte Tess. Sie gedachte der Verheißung der Majorin, das kann ja nett werden. Sie überflog die Tafel, nur eins interessierte sie noch – natürlich Franz hatte die Chilenin zur Rechten. Gerade warf sie ihm einen Blick zu, strahlend, selig, einen wahrhaft chilenischen Blick. Sie gab sich gar keine Mühe, ihn zu verbergen. Mochten sie doch alle sehen, dass sie im Paradies war. Und er? – Gut, Franz! Er war Kavalier geworden; seine Kräfte wurden verlangt und sie waren da. Noch einmal sah Tess auf die dunkle Schwester. War sie ein bisschen neidisch? Ja! Aber nur solange, als man ‘‘ja’’ sagt. Sie nahm die Augen zurück und wandte sich ihrem Jago zu, der kein Adonis war, auch kein schmachtender Verehrer, aber ein ‘‘ganz schlaues Aas’’. Dieser Abend wird interessant werden, wusste Tess und war nicht mehr neidisch.
    Jago bot ihr an, von diesem – von dem, bat um zwei ihrer Weingläser – wartete und fragte und fragte und wartete.
    Tess sah ihn an. „Sie haben irgend etwas mit mir vor, ich bin gespannt. Appetit habe ich ohnehin nicht viel, also schießen sie nur los!“ Da, gegenüber fuhr die Majorin auf, entsetzt, wie sie mit ihrem Tischherrn umsprang. War es ein ‘‘hohes Tier’’? Das müssen wir herauskriegen. „Sie haben mir noch nicht geantwortet. Herr – Kirner!“
    „ Kirna!“, verbesserte er.
    „ Ah, schwedisch sprechen sie ihren Namen aus?“
    „ Das wissen Sie?“
    Sie nickte und wartete auf Antwort.
    „Ich könnte ja irgendetwas erwidern, aber …“
    „ Sie könnten auch die Wahrheit sagen“, lachte Tess. „Nicht?“
    Er schüttelte unmerklich den Kopf, sie zum ersten Mal ruhig und ernst anblickend. In diesem Augenblick hätte man ihn fast schön nennen

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