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Entfesselte Energien (Band 1)

Entfesselte Energien (Band 1)

Titel: Entfesselte Energien (Band 1) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Collmann
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das?“
    Lore lächelte – zauderte.
    „ Lore!!“
    „ Das ist ein Geheimnis!“
    „ Du sagst es!“
    „ Ich sag es nicht. – Das weiß noch keiner.“
    „ Du weißt es!“
    Lore sah sich sichernd und witternd um.
    „Hier schreib es auf diesen Zettel, wenn du Lauscher fürchtest!“
    Lore seufzte – besann sich – und schrieb: „Allyl Kupfer.“
    Tess las – dachte nach – und fuhr auf. „O ja, ich weiß! Er hat’s uns in der Vorlesung vorgeführt: Einen Halben Kubikzentimeter auf ein Stahlblech über den Bunsenbrenner gehalten, gab einen Knall wie ein Schuss mit der Browning und das Blech war wie von einer Kugel durchschlagen.“
    „ Ich weiß es auch noch, Tess.“ Er sagte: „Der furchtbarste Sprengstoff, den noch keiner anzuwenden gewagt hat, kommt gleich hinter …“
    „ Jodstickstoff und Chlorstickstoff, den Unberührbaren.“
    Lore strahlte. „Und jetzt wenden sie ihn an“ – leiser – „auf unserer Marine. Kein Panzer der Welt widersteht diesen Hochbrisanzgranaten mit Retardierzündung.“
    Tess sah wieder nach der Wand. „Was steht da auf dem Schild?
    „ Das hat er selbst darauf gebeizt – gebrannt.“
    „ Mit Antimon?“
    Lore nickte.
    „Und was für Schriftzüge sind das? Griechisch? – Bulgarisch? – Russisch?“
    „ Russisch!“, rief eine männliche Stimme hinter ihnen.
    Wie Schulbuben fuhren die entsetzten Frauen auseinander; Riemenschneider war hinter ihnen eingetreten. Er stand eine Weile, lächelnd, sich an dem Schrecken der so jählings Ertappten zu amüsieren.
    „ Ich wollte – ihnen ihre geheimen – Papiere bringen“, stotterte Tess und kramte in ihrer Aktentasche.
    „ Und inzwischen spionieren sie meine Geheimnisse aus, oder etwa nicht?“ Laut und herzlich lachend schüttelte er ihr wie ein guter Freund die Hand.
    Tess dankte ganz innig, schluckte, atmete und fasste Mut: „Bitte, übersetzen sie mir, was heißt das auf dem Schild?“
    Gleich wurde er ernst, fast feierlich. „Das heißt: Kondratenko – sie wissen nicht, wer Kondratenko war und warum ich mir solche Mühe gegeben habe, seinen Namen auf so kostbare Weise meinen Nachkommen zu hinterlassen?“
    „ Ich weiß nicht – ich habe – den Namen nie gehört.“
    „ Seltsam, wie wenig dieser Mann bei uns bekannt ist, und doch war er ein großer Geist, ein tapferer Offizier, ein wahrer Held und fantastischer Mensch, ein zweiter Archimedes, der durch seine genialen Erfindungen und durch seinen unbeugsamen Willen eigentlich ganz allein die Festung Port Arthur gegen die wütenden Anstürme der Japaner Monate lang gehalten hat. 70.000 tote Japaner, die vollständige Zermürbung und der beginnende Wahnsinn Nogi’s, des fähigsten Generals, sind das Denkmal, das er sich gesetzt hat. Nein, vielmehr der Mut, der unbeugsame Siegerwille, das stahlharte Aushalten der russischen Besatzung, die vor seiner Ankunft Memmen gewesen waren, die er in Löwen verwandelt hat. Die Zahl dort deutet auf den 203 m hohen Hügel, um den sich die erbarmungslosesten Kämpfe abspielten, in den Nogi Sprengtrichter reißen ließ, die seine Sturmtruppen besetzten, die Kondratenko durch Gegenminen in die Luft jagte, bis Nogi wieder sprengte und Kondratenko noch tiefer grub, bis endlich der Berg wie ein Termitenhaufen, wie ein Bienenstock bis in seine Grundfesten durchlöchert war, bis alles zusammenbrach unter dem mörderischen Geschosshagel der neu angekommenen japanischen 28 cm Mörser. Bis Kondratenko fiel und das elende Häuflein ausgemergelter, blutender, pulverschwarzer, totkranker Jammergestalten die Arme sinken ließ, da sie keinen Körper mehr hatten, sich zu wehren, nur noch Seele waren, wilde, noch immer ungebrochene, löwenmutige Seelen. Kondratenko’s Seelen!“
    Lange sprach niemand in dem Raum ein Wort, obwohl inzwischen auch noch Franz Sellentin eingetreten war. Niemand hatte ihn gehört. Er hielt sich im Hintergrund und wartete, vielleicht war er auch schon länger da. Riemenschneider zog seinen Mantel aus, niemand half ihm dabei.
    Tess brach endlich das Schweigen. „Warum sind sie nicht Offizier geworden, Herr Professor?“ Alles an ihr war Erschütterung. Starre, tiefbohrende, ratlose Frage. Da er an den Schreibtisch ging, ohne zu antworten, fragte sie wieder: „Warum sind sie nicht Offizier geworden?“
    Er zuckte die Achseln. „Vielleicht, weil ich Chemiker werden musste. Wer weiß, wozu es noch einmal gut ist!“, scherzte er und begrüßte den neuen Gast. „Ah, die Papiere wollten sie mir wiederbringen?

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