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Entflammt

Entflammt

Titel: Entflammt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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die schwere Schwingtür ins Esszimmer. Wäre ich Scarlett O'Hara gewesen, wäre er mir gefolgt, hätte mich in seine männlichen Arme genommen und mich nach oben getragen, um eine Frau aus mir zu machen. Aber die Schwingtür blieb zu, ich stand da wie eine totale Idiotin und musste mir das Lachen von Rivers unsterblichen Biobauern anhören, die sich von draußen der Haustür näherten.
    Zwei Stufen auf einmal nehmend, rannte ich die Treppe hoch und geriet kurz in Panik, als ich mein Zimmer nicht gleich fand. Dann warf ich mich gegen die Tür, knallte sie zu und lehnte mich von innen keuchend dagegen, genau wie im Kino.
    Das war der Grund, weshalb ich tunlichst alle Emotionen vermied.
    Weil sie wehtaten.

6
    Was man diesem Laden zugutehalten musste, war der unbegrenzte Vorrat an heißem Wasser. Was mir allerdings zu schaffen machte, war die Tatsache, dass es dieses heiße Wasser nur im Gemeinschaftsbad der Frauen am anderen Ende des Flurs gab. Hier stand eine tiefe Badewanne mit Löwenfüßen in einer Extra-Kabine und dann waren da noch ein paar Klo-und Duschkabinen. An einer Wand reihten sich fünf Waschbecken aneinander wie im Internat, mit einem winzigen, unbeleuchteten Spiegel darüber. Eitel durfte man hier anscheinend nicht sein.
    Was kein Problem war, wenn man sich seit ein paar Jahrzehnten ohnehin nicht mehr um sein Äußeres gekümmert hatte. Ich versank in der tiefen Wanne und tauchte plötzlich wieder in einer anderen Wanne in einem Haus in New Orleans auf, in dem ich eine Zeit lang gelebt hatte. Diese Wanne war groß genug gewesen, um einen Eisbären darin zu baden. Der Makler hatte mir erzählt, dass sie in den Dreißigerjahren für einen Richter gebaut worden war. Er hatte zwei Wannen durchsägen und zusammenschweißen lassen, und dabei war ein gigantisches, auf Eisentatzen stehendes Monstrum entstanden, in dem ich mich lang ausstrecken konnte.
    Aber diese Wanne war auch nicht schlecht, wenn man von der kalten Beleuchtung absah, die einem das Gefühl gab, in einem Leichenschauhaus zu liegen. Das Wasser war richtig heiß, die Seife hausgemacht und grob von getrocknetem Lavendel, und in einer kleinen Schachtel entdeckte ich getrock -
    nete Kräuter. Ach, was soll's, dachte ich, griff mir eine Handvoll und streute sie in das aus dem Hahn strömende Wasser. Duftender Dampf drang mir in die Nase und den Rachen, als ich mich im heißen Wasser ausstreckte.
    Der Dampf erinnerte mich an meine Zeit in Taiwan, damals 1890, als es mal wieder japanische Kolonie wurde. Ich hatte Tuberkulose und die Husterei machte mich ganz irre. Nachdem ich alle Heilmittel durchprobiert hatte, schlug mir jemand vor, es einmal mit dem heilenden Wasser auf dem Berg Yangmingshan in Taiwan zu versuchen. Auf einer Seite des Berges war die Luft voller Dampf, der nach faulen Eiern stank und den grünen Berg einhüllte wie ein nebelfarbener Seidenschal. Der Gestank war anfangs echt eklig, aber nach ein paar Tagen nahm ich ihn nicht einmal mehr wahr. Jeden Tag setzte ich mich zweimal für eine Stunde an den Rand der natürlichen heißen Quelle und atmete den warmen Dampf ein. Es waren noch viele andere Leute da, die verschiedene Leiden hatten - meistens Lungen-oder Hautprobleme. Ich sah zu, wie die Einheimischen an der flachen Seite der Quelle hockten, wo das Wasser leise durch den Sandboden blubberte. Sie nahmen hölzerne Essstäbchen und steckten sie kreisförmig in den Boden wie einen kleinen Zaun. Dann legten sie ein paar Eier in den Kreis, die von der heißen Quelle gekocht wurden. Diese Eier zu essen, galt als besonders ge— sund. Ich blieb zwei Monate, genoss die üppige Schönheit von Taiwan und atmete die schwefelhaltige Luft ein. Meine TB war geheilt.

    Und jetzt, über hundert Jahre später, atmete ich schwefelfreien Dampf ein. Plötzlich war ich wieder in der Gegenwart.
    War es wirklich erst zwei Tage her, dass ich London verlassen hatte? Oder war es gestern gewesen? Unerwartet brannten Tränen unter den geschlossenen Lidern meiner Augen und ich sah wieder das Gesicht des Taxifahrers vor mir. Lebte er noch? Was war mit seiner Familie? Was dachte, fühlte, tat sie?
    Ich setzte mich auf. Die Schuld klebte an mir wie Seifenschaum und ich griff nach dem Shampoo. Ich hatte das nicht getan - es war Incy gewesen. Alles, was ich getan hatte, war ... wegzugehen.
    Ich wusch mir die Haare und tauchte unter, um sie auszuspülen. Das Wasser war nicht mehr ganz so heiß und so nahm ich einen Naturschwamm von einem Haken,

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