Entflammt
danach glücklicher und mit dir selbst im Reinen sein.«
Ich biss mir auf die Lippe, denn ich fürchtete, dass sie recht hatte.
»Im Garten arbeiten, eine Mahlzeit zubereiten, sauber machen - diese Aufgaben nehmen nie ein Ende und sie sind langweilig. Für einen Unsterblichen sind sie fast unerträglich. Wir suchen normalerweise nach der nächsten großen Emotion, dem bahnbrechenden Ereignis, der umwerfenden körperlichen Erfahrung, denn nach einer Weile sind Sensationen das Einzige, was wir noch spüren können.«
Upps, Volltreffer. Autsch.
»Unser Geschenk an dich und alle Unsterblichen, die hierherkommen ist es, dich zu lehren, den Moment wieder zu schätzen und zu fühlen. Jedes Unkraut, das du auszupfst, wirklich zu sehen und zu riechen. Die feste Schale einer Rübe zu fühlen, das erdige Grün ihrer Blätter zu riechen. In deiner Haut zu stecken, ohne dass du schreiend herumrennen willst. Dass du Freude an dir hast und dich selbst zu schätzen weißt. Erst wenn das der Fall ist« - sie unterbrach sich und lächelte wieder - »erst dann wirst du in der Lage sein, jemand anderen wirklich zu lieben.«
Ich sagte nichts. Meine Kehle war wie zugeschnürt und meine Augen brannten. Schreiend herumzurennen schien mir im Augenblick die beste Option zu sein. Oh, mein Gott, vielleicht wusste sie wirklich, wovon sie sprach. Diese Erkenntnis traf mich wie ein Schlag. Womöglich kannte sie mich, wusste, was ich fühlte, Wie peinlich war das denn? Ich war im Innern so hässlich und elend, so durchtränkt von Schmerz und Entsetzen, dass der Gedanke, dass es jemand anders sehen konnte, eine Katastrophe war. Ich fühlte mich wie eine Rattein einem Käfig, der langsam aber sicher in siedendes Öl herabgesenkt wird. Ich spürte, wie es an mir hochkroch, meine Haut versengte.
»Und natürlich«, sagte sie gelassen, ohne die wachsende Panik in meinem Blick zu beachten, »wirst du auch lernen, wie man Magie ausübt, ohne etwas zu töten. Du wirst eine Tähti werden.«
Ich hätte beinahe nach Luft gejapst, als ich das Wort laut ausgesprochen hörte. Die Leute sprachen schon sehr selten von Terävä, aber niemand erwähnte jemals die Tähti. Keiner meiner Freunde hatte jemals einen getroffen und manche behaupteten, sie wären bloß ein Mythos. Ich war hergekommen in der Hoffnung, dass das nicht stimmte.
»Jeder hat eine Bestimmung«, sagte ich fast tonlos. »Man kann sich nicht ändern.«
»Doch, man kann sich ändern.« River blieb ganz ruhig und schien vollkommen überzeugt zu sein. »Ich bin eine Tähti - jetzt. Wir praktizieren Magie ohne Dunkelheit, ohne Zerstörung. Und das kannst du auch lernen.«
Es war, als würde sie mir erzählen, dass ich lernen könnte, kein Mensch mehr zu sein, sondern ein Alien - oder ein Tiger. Das klang total verrückt.
»Was meinst du mit jetzt?«, fragte ich.
»Ich war nicht immer Licht«, sagte River und stand auf.
»Es gab eine Zeit, in der ich ... sehr dunkel war,« Sie schaute weg, als fragte sie sich, ob sie zu viel von sich preisgegeben hatte. »Und jetzt rufen die Rüben nach uns.« Sie lächelte ein wenig und deutete zur Tür.
Ich sah sie an und schaffte es nicht, alles zu verarbeiten, was sie gerade gesagt hatte. In den letzten zehn Minuten hatte sie mein gesamtes Wesen analysiert, meine Brust geöffnet und den verwesenden Leichnam in mir freigelegt. Und jetzt tobte das Chaos in mir.
»Komm jetzt«, sagte River und hielt mir die Hand hin.
»Du kannst auch beim Essen nachdenken. Wie ich gehört habe, gibt es Apfelkuchen zum Nachtisch. Aber nur für die von uns, die ihre Rüben aufessen.«
Schweigend folgte ich ihr in den Speisesaal.
Oh Gott, oh Gott, sie kannte mich. Sie kannte mich.
10
»Oh, Nastasja, Hilfe!«
Ich fuhr herum, als ich Rivers Stimme hörte, und sah hinter dem verbeulten roten Kleinlaster der Farm hervor— kommen. Es war früher Morgen und ich brachte pflicht— bewusst Feuerholz für die beiden großen Kamine im Wohn— und Esszimmer herein. Ich wusste zwar nicht, wie die Schufterei meine Seele retten sollte, aber es war immerhin besser, als Rüben zu ernten. Ich setzte die Karre mit dem Brennholzab und ging auf River zu. Sie stand gebückt da und hielt einen der Hofhunde am Halsband fest.
»Nastasja, du musst Jasper nehmen«, sagte sie. Ihr feines silbergraues Haar hatte sich wieder einmal aus ihrem Zopf gelöst und umwehte ihr Gesicht.
»Klar, kein Problem«, sagte ich und griff nach dem Halsband. »Oh,
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