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Entflammt

Entflammt

Titel: Entflammt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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Traum gewesen, sondern eine Erinnerung. Die Erinnerung daran, wie unsere Mutter in dieser Nacht versucht hatte, uns das Leben zu retten. Sie hatte nicht wissen können, dass es unser Todesurteil war, als sie uns alle in Vaters Studierzimmer eingeschlossen hatte.
    Nur ich hatte überlebt.
    Immer noch schnaufend tupfte ich etwas kaltes Wasser auf meinen Nacken und band mir das Tuch wieder um. Im Zimmer zog ich die schweren Hotelvorhänge zurück und sah, dass die Sonne aufging - ich hatte etwa sechs Stunden geschlafen. Als sich meine Atmung endlich beruhigt hatte, schlüpfte ich in halbwegs frische Klamotten und benutzte den Hotelcomputer, um einen Gebrauchtwagen zu finden.
    ***
    Drei Stunden später verschränkte ich die Arme vor der Brust, weil die kühlen Finger des Herbstes ins Auto gekrochen kamen - in den schäbigen braunen Kombi, den ich am Morgen bei einem Händler am Stadtrand von Boston gekauft hatte. Der Motor war aus und damit auch die Heizung, und ich begann zu frösteln, was meinen ganzen Körper verspannte. Die Sonne lugte zwar durch die Wolken, aber es waren trotzdem kaum fünf Grad.
    Ich wollte nicht aussteigen.
    Ich hatte es gehasst, was Kim mit ihrer Magie in der vergangenen Nacht getan hatte. Magie bedeutete Leiden und Tod. Sich mit Magie abzugeben, bedeutete, Macht zu haben. Und wenn man Macht hatte, gab es immer jemand, der versuchte, sie dir wegzunehmen. Jemand würde alles tun, um sie zu kriegen.
    Ich hasste es auch, dass Incy auf der Suche nach mir ungefähr eine Million Leute angerufen und ihnen gesagt hatte, dass sie nach mir Ausschau halten sollten. Jetzt wollte ich mehr als je zuvor von ihm weg, von ihm und allen anderen. Und dann war da diese Erinnerung. Normalerweise vermeide ich es, an diese Nacht zu denken, und zwar meistens mit verblüffendem Erfolg. Ich hatte schon seit Jahrzehnten nicht mehr davon geträumt. Noch vor einer Woche waren meine ganzen Gefühle und Erinnerungen noch sicher in Watte verpackt gewesen, gut geschützt vor meinen neugierigen Blicken. Aber jetzt hatte meine Schale einen Riss bekom—men und der Schmerz lief aus. Ich lachte trocken auf - hatte Eva sich so gefühlt, als sie in den Apfel gebissen hatte? Hatte sie da auch plötzlich Dinge gesehen, die sie lieber nicht gesehen hätte?
    Ich schluckte und meine Kehle war wie zugeschnürt. Hier war ich wieder. Ich wusste nicht, wohin ich sollte. Mit meinesgleichen in Boston abzuhängen, war ein Desaster gewesen. Der Gedanke, nach England zurückzukehren, erfüllte mich mit Abscheu. Schlimmer noch: mit Furcht. Nackter Angst.
    Mal ehrlich, was hatte ich für eine Wahl? Ich war vor eine Wand gefahren. Nach über vierhundert Jahren des Vor-michhin-lebens hatte ich plötzlich keine Ahnung mehr, wer ich war oder was ich mit mir anfangen sollte. Ich hatte unzählige Male meinen Namen geändert, mich aber immer so gefühlt wie die Person, die ich der Welt nach außen hin präsentierte. Und jetzt fühlte ich mich wie die Person, die ich vor so langer Zeit zurückgelassen hatte, und allein der Gedanke daran reichte aus, um Hysterie in meiner Kehle aufsteigen zulassen. Jetzt fühlte ich mich wie eine brüchige Hülle um etwas, das längst vertrocknet, schwarz und tot war.
    Noch vor zehn Jahren - vor fünf - wäre ich neidisch auf Kims Zauber gewesen, begeistert und vermutlich enttäuscht, weil ich nicht genug Magie beherrschte, um so etwas hinzukriegen. Was hatte sich in mir verändert? Was wurde aus mir?
    Ich zuckte zusammen, als Solis leise ans Fenster klopfte. Ich war verlegen. Es war mir peinlich, wieder angekrochen zu kommen, ein solcher Loser, dass ich nirgendwo anders hinkonnte, so am Ende, dass ich Fremde um Hilfe bitten musste. Ich versuchte noch einmal zu schlucken, öffnete die Tür und fühlte mich uralt, als ich aus dem Wagen stieg. Es war viel schlimmer als beim ersten Mal. Es war furchtbar, schon wieder da zu sein, und das so schnell. Aber ich wusste einfach nicht, was ich sonst tun sollte.
    Solis nickte mir zu und ließ mich nicht aus den Augen, als ich auf den Boden starrte und mit der Stiefelspitze im trockenen Laub herumscharrte. Er nickte wieder und berührte meinen Arm. »Hier lang«, sagte er und ging los.
    Ich folgte ihm zu einer efeubewachsenen Steinmauer hinter der Scheune. Fast verborgen unter all dem Efeu war eine Holztür, größer als ich. Solis öffnete sie und bedeutete mir einzutreten. Ich hätte beinahe gestöhnt, als ich die

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