Entflammt
gestehen, dass ich mehr als einen fiebrigen Gedanken an Reyn verschwendet hatte.
»Nastasja? Hallo?«
Mir wurde bewusst, dass er wohl schon eine Weile mit mir sprach und dass ihn das Hamsterrad in meinem Kopf ausgeblendet hatte, während es sich drehte.
»Was?«
Wir standen vor der Hintertür des Hauses, die in die Küche führte. Ich konnte hören, wie drinnen geredet und gelachtwurde, Töpfe und Pfannen schepperten, Wasser lief. Hier draußen war es still, wenn man vom Gezwitscher ein paar früher Vögel und der Brise absah, die die letzten trockenenBlätter von den Bäumen wehte.
»Was ist gestern Abend beim Zirkel passiert?«
Ich sah ihn kurz an und merkte, wie er mich anstarrte. Das war mir unangenehm - ich hatte keine Angst mehr, jedenfallsnicht viel -, und ich war nur froh, dass die anderen in Rufweite waren.
»Das Übliche«, erwiderte ich betont locker. »Visionen, Übelkeit, Kotzeritis. Ich liebe Zirkel!«
»Warum passiert das mit dir?«, wollte er wissen.
Ich stöhnte. Meine Nerven lagen blank und ich wollte endlich ins Haus, nur weg von ihm.
Die Hintertür ging auf und Nell schaute heraus. Ihre Wangen waren rosig und sie sah ausgeschlafen aus. Vergeblichversuchte sie, Misstrauen und Eifersucht aus ihrem Gesicht zu verbannen, aber ich konnte wetten, dass Reyn davon malwieder nichts mitbekam.
»Lass dich von Nastasja nicht aufhalten!«, befahl Nell Reyn munter.
Das Erste, was mir in den Kopf kam, war Oh, wir haben es schon im Hühnerstall getrieben. Doch ich wollte nicht schonwieder meine Unreife unter Beweis stellen, die auch noch mit einer gehörigen Portion Selbstzerstörungsdrang einherging.Ganz davon abgesehen, dass ich ein nervliches Wrack war und darüber keine Witze mehr machen konnte.
»Wir unterhalten uns«, sagte Reyn. »Wir kommen gleich.«
Nells Gesicht verfinsterte sich. »Aber Brynne braucht die Eier.«
»Ich hab sie«, sagte ich, stieg die Stufen hoch und ließ Reyn stehen. Ich rauschte an Nell vorbei und in diesem Momentzischte sie: »Er gehört mir!«
Mein Kopf fuhr herum und ich sah sie an. Aber ihr Gesicht war ausdruckslos und ganz normal und sie lächelte Reyn an und hielt ihm die Tür auf, als er mit seinen beiden Milchkannen die Stufen hochkam.
Gestern war er noch mein Traummann gewesen; heute war er die Inkarnation meiner größten Angst und meinerschlimmsten Erinnerung. Und zu allem Überfluss dachte Nell auch noch, dass ich ihn ihr wegnehmen wollte. Super. DasSchicksal lachte sich mittlerweile bestimmt schlapp.
***
Apropos Schicksal, ich ging an diesem Tag wieder zur Arbeit. Zwei Tage hintereinander! Pünktlich! Das letzte Mal ... ichkonnte mich an kein letztes Mal erinnern. Vielleicht noch nie. Und he, ich fühlte mich so erfüllt und nützlich und so vielweiter auf meinem Pfad der Heilung und des Wohlbefindens und eins mit dem Universum ... haha, wohl kaum. Ich meine,niemand konnte Freude an dieser Arbeit haben, sie erfüllend finden. Aber eine sinnlose Arbeit war immer noch besser alssinnloses Herumbrüten und ich vertraute darauf, dass Solis und River wussten, was sie taten. Wie lange wollten sie wohl,dass ich diesen Job aushielt? Zwei Wochen? Ob zwei Wochen genug waren?
Um halb vier kam Meriwether Maclntyre und verstaute ihren Schulrucksack hinter dem Tresen.
»Du bist mit der Highschool schon fertig?«, fragte sie schüchtern und band sich die gestreifte Schürze um, die sie immer trug, wenn sie im Laden arbeitete.
»Ja.«
»Und willst du aufs College?«
»Ja, klar. Ich wollte nur erst eine Weile arbeiten und etwas Geld sparen«, sagte ich. »Was ist mit dir? Du gehst in dieOberstufe, oder?« Ich hatte herausgefunden, dass sie in der zwölften war und im Grunde nur zur Schule ging und im Laden half und sonst kein Leben hatte.
Meriwether nickte.
»Collegepläne?«
Sie zögerte und sah unbehaglich aus. »Ich weiß nicht, ob ich meinen Dad allein lassen kann«, sagte sie leise, als hätte sie Angst, er könnte es hören. »Das nächste College ist ungefähr eine Stunde von hier, aber ich glaube nicht, dass er will, dass ich dorthin gehe.«
Hm. Meine kürzliche Erkenntnis über Incys Anhänglichkeit und seinen Kontrollwahn machte mich besonders emp-:findsam für die arme Meriwether, die herumgezerrt wurde wie eine Marionette. Aber was sollte ich sagen? Zum Teufel mit ihm, mach was du willst?
Mir war klar, dass es nicht leicht war. Und das war mehr als noch vor einem Monat, wo mir Meriwethers Probleme total
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