Entflammt
gleichgültig gewesen wären.
»Es gibt doch Fernkurse «, sagte ich lahm, obwohl ich natürlich wusste, dass sie so viel mehr brauchte als das. »Ja«, sagte sie ohne Hoffnung. »Oh, wow, du hast ja viel geschafft.« Sie schien sich in meiner Gegenwart nicht wohlzufühlen. Ich schätze, ich war ganz anders als ihre normalen Schulfreundinnen.
»Ja, ich war fleißig wie eine Biene«, witzelte ich, die einen Themenwechsel erkannte, wenn er ihr ins Gesicht sprang. Ichmusterte die ordentlichen Regale und versuchte nicht daran zu denken,wie ich in einem fantastischen Abendkleid dieTreppe des Prager Opernhauses hinuntergeschritten war. Alle hatten sich umgedreht, die Männer hatten mich angestarrtund die Frauen hatten mich abgrundtief gehasst. Die guten alten Zeiten. Wirklich alt, etwa hundertfünfzig Jahre her. »Ich muss bis vier bleiben«, fuhr ich fort und wischte mir die Hände an der Jeans ab. »Weißt du, was ich mir überlegt habe? Die Angelsaison ist doch vorbei, nicht? Warum räumen wir den Angelkram nicht nach hinten und stellen Taschentücher und Schnupfenmittel und so was nach vorn?« Ihre nahezu farblosen Augen weiteten sich. »Genau das will ich schon seit einer Ewigkeit tun! Ich habe meinen Dad danach gefragt, aber er sagt -«
»Was quasselt ihr da?«, brüllte Mr MacIntyre und kam auf uns zu. »Fürs Rumstehen bezahle ich nicht!«
Meriwether zuckte zusammen, aber nachdem ich gerade einen Wikinger-Albtraum überlebt hatte, konnte mich einmürrischer Ladenbesitzer nicht mehr schocken.
»Ich habe gerade vorgeschlagen, die ganzen Angelsachen nach hinten zu räumen und die wintertypischen Artikel nach vorn zu stellen«, sagte ich. »Dann kommen die Leute rein und denken, He, das brauche ich. Und dann denken sie, MacIntyre hat, was ich brauche. Verstehen Sie? Es macht keinen Sinn, wenn sie beim Reinkommen als Erstes Sonnencremeund Angelschnüre sehen. Immerhin haben wir schon November.«
Mr MacIntyre starrte mich schweigend an und ich wartete darauf, dass ihm vor Wut gleich der Rauch aus den Ohren quoll.
Doch er drehte sich um und betrachtete seinen Laden, als sähe er ihn zum ersten Mal - die verblichenen Werbeplakate, die Rostflecke an der Metalldecke, die altmodischen Regale, den abgetretenen Linoleumboden.
»Wie lange sind Sie jetzt hier, zwei Tage? «, fragte er mich. »Und schon Expertin?«
Ich schnaubte. »Ich bin vielleicht keine Expertin im Verkaufen. Aber ich bin eine Expertin beim Shoppen. Außerdem habe ich Augen im Kopf.«
Meriwether hatte seit dem Beginn dieser Unterhaltung nicht mehr geatmet und ich wartete insgeheim darauf, dass sie ohnmächtig wurde.
Nach einer weiteren Minute des Schweigens, in der Old Mac und ich einen Wettbewerb im Anstarren ausfochten, bellte er: »Aber ich will kein riesiges Durcheinander. Und alles, was umgeräumt wird, wird auch sauber gemacht!« Schimpfend kehrte er in seine Apothekenabteilung zurück. Fast hätte ich über Meriwethers entsetzten Gesichtsausdruck gelacht, aber stattdessen bedeutete ich ihr, mir in den vorderen Teil des Ladens zu folgen.
»Ich kann nicht fassen, dass er eingewilligt hat«, hauchte Meriwether, die grauen Augen weit aufgerissen. »Als ich dasvorgeschlagen habe, hat er mir fast den Kopf abgerissen.« »Ja, Freundlichkeit ist ein Fremdwort für ihn«, sagte ich. »Lass uns einen Plan machen, einen, den wir häppchenweise abarbeiten können, damit er nicht zu viel davon mitbekommt. Ich fange morgen damit an und du kannst übernehmen, wenn du von der Schule kommst.«
»Hört sich gut an«, sagte Meriwether und schenkte mir ein flüchtiges, aber echtes Lächeln. Ich meldete mich pflichtbewusst ab, stieg in mein schäbiges altes Auto und fuhr - gewissermaßen nach Hause.
18
So, mal vergleichen: mein altes Leben mit Designerklamotten; Mega-Partys; tollen, aufregenden und witzigen Freunden; Reisen nach Lust und Laune; Spaß, Spaß, Spaß - und mein derzeitiges Leben mit Flanellhemden und Arbeitsstiefeln; mein mieser Job in einem heruntergekommenen Drugstore; bei Tagesanbruch aufstehen; um neun Uhr abends ins Bett fallen - eigentlich gab es keinen Grund, wieso sich dieses Leben besser anfühlen sollte. Aber das tat es.
Hier hatte ich zum ersten Mal seit Jahrzehnten, vielleicht sogar Jahrhunderten, keine Magenschmerzen. Bisher hatte ich immer das Gefühl gehabt, als hätte ich einen Wurfstern oder einen von diesen Feuerwerkskörpern verschluckt. Es hatte eine Stelle in mir gegeben, die
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