Entflammt
existenzialistische Philosophie ertrage ich nämlich nicht vor meinem ersten Kaffee.
Leise deckte ich den Tisch mit Rivers wundervollem schwerem Silberbesteck aus dem frühen 17. Jahrhundert.
»Was meinst du, Nastasja?«, fragte er und erwischte mich damit wie ein Insektensammler, der einen Schmetterling mit einer Nadel auf ein Stück Samt aufspießt. »Findest du, dass es falsch ist, etwas zu zwingen, entgegen seiner Natur zu handeln? Ist es manchmal richtig, wie bei diesen Zweigen? Und übrigens, von welcher Pflanze stammen sie?«
Ich hielt inne und betrachtete die Zweige. So konnte ich etwas Zeit schinden. Sie waren hell und nicht sehr holzig. Eher wie ein Busch. Es musste etwas sein, das früh blühte, wenn man es zum Blühen bringen konnte, obwohl der Winter noch nicht richtig angefangen hatte.
Ich wagte einen Versuch. »Forsythie?«
Er lächelte und ich war unsinnig froh, wie ein dressierter Seehund.
»Und jetzt zum anderen Teil meiner Frage. Ist es falsch, etwas gegen die Natur zu erzwingen?«
Oh, toll. Es hatte sich eine wichtige Lektion über das Leben angeschlichen, als ich gerade nicht hingesehen hatte. Die Frage war beiläufig gestellt worden; die Antwort konnte nicht beiläufig gegeben werden.
»Wie Hunde abzurichten?«
Er lächelte geduldig. Es gibt kaum etwas Schlimmeres als ein geduldiges Lächeln. »Die Natur des Hundes ist es zu arbeiten. Hunde sind schon so viele Tausend Jahre domestiziert, dass es zu ihrer Natur geworden ist, die Ausbildung zu akzeptieren und sogar zu verlangen. Die Abrichtung arbeitet mit ihrer Natur, nicht gegen sie. Ich spreche davon, diese Knospen zur falschen Jahreszeit zum Aufblühen zu bringen, nur zu unserer Freude. Das ist nur ein Beispiel. Oder einen Fluss mit einem Damm zu stauen. Oder einen Menschen in Einzelhaft zu stecken. Menschen sind gesellige Wesen. Nicht dazu gemacht, allein zu sein.«
Daisuke kam leise herein und stellte einen Brotkorb auf den Tisch. Er warf einen Blick auf meine Haare, lächelte mir kurzzu und verschwand wieder durch die Schwingtür.
Ich konnte mich nicht konzentrieren. Ich war nervös und fühlte mich nicht wohl damit, wie ich aussah. Mein einziger Wunsch war es, zu entkommen und mich wieder zu verwandeln. Ich trug nicht mal Make-up. Wahrscheinlich sah ich auswie ein Glas Milch.
Ich atmete aus. »Ich weiß nicht. Vielleicht.«
Wahrscheinlichwürde er mir gleich auftragen, darüber zu meditieren oder mir jemanden zu suchen, der mir bei der Antwort half, aber er tat es nicht.
Stattdessen fuhr er noch mal leicht mit den Fingern über die Zweige und sagte: »Ich weiß es auch nicht.« Er sah mich an. »Deine Natur«, sagte er sanft, »ist es, so auszusehen. Das bist du und du siehst so aus. Bitte versuch, es anzunehmen. Denk daran, was Hector Eisenberg gesagt hat: >Das Gesicht einer Frau, nackt und ungeschminkt, ist so wunderschön wie der Mond und ebenso geheimnisvoll.<«
Ich sah ihn nur an und hatte das Gefühl, als würden Ameisen meinen ganzen Körper krabbeln. Die anderen kamen einernach dem anderen herein und setzten sich an den Tisch. Charles und Daisuke brachten die Frühstückstabletts. »Bitte verändere dich nicht wieder«, sagte Solis so leise, dass nur ich es hören konnte. »Fahr fort, du selbst zu werden.« Dann wendete er sich ab, nahm seinen Teller und stellte sich hinter den anderen in die Schlange vor den Tabletts.
Am liebsten wäre ich in mein Zimmer gerannt, bis es Zeit war, zur Arbeite zu fahren, aber am Ende stellte ich mich doch hinter Lorenz am Frühstücksbuffet an.
»'Giorno, bella«, murmelte er und der Patschuli-Duft seines Aftershaves waberte über mich hinweg.
Hinter mir reihte sich Charles mit seinem Teller ein.
»So«, sagte er und sogar aus dieser einen Silbe war sein irischer Akzent herauszuhören. Mit den roten Haaren und den Sommersprossen hätte er perfekt auf ein Werbeplakat für die Grüne Insel gepasst. »Du hast sie jetzt also gebleicht?«
»Nein«, sagte ich und im selben Augenblick ließ uns alle ein gewaltiges Krachen zusammenfahren. Als wir uns umdrehten,stand Reyn in der Tür und sah vollkommen geschockt aus. Er hatte einen Armvoll Feuerholz getragen, das jetzt auf dem Boden verstreut lag.
Voller Entsetzen, das Gesicht kreideweiß, die goldenen Augen weit aufgerissen, starrte er mich an. Er schüttelte den Kopf und sagte: »Nein, Nein.« Dann fiel ihm auf, dass wir ihn alle anstarrten. Er sah hinunter .auf das
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