Entflammt
sollte das interessieren? Ich spürte, wie sie mich ansah, und schaute auf in ihr gelassenes Gesicht, die gebräunte, kaum faltige Haut, das silberne, zum Pferdeschwanz gebundene Haar. Mit den Händen zeichnete sie den Umriss meines Gesichtes in die Luft, ohne mich zu berühren, und ich spürte plötzlich eine Welle der ...
Macht.
Oh, Gott ... Ich holte langsam Luft, schloss die Augen und spürte, wie sich die Kraft in mir ausbreitete wie Lichtstrahlen. Ich spürte, wie sie um mich herumstrudelte und eine andere Kraft traf - die von River. Es war ... als würden zwei sehr alte Ströme plötzlich zusammenfließen. Ich fühlte mich, als würde ich in Licht baden. Es war ein unglaubliches Glücksgefühl.
In meinem Kopf schrillten Alarmglocken. Dieses Gefühl hatte ich schon ein paar Mal gehabt - kurz bevor die Hoffnunggestorben war und das Glück sich verflüchtigt hatte, als wären tausend schwarze, schuppige Insekten aus der Kanalisation gekrochen und hätten die Sonne verdunkelt. Und dann kamen der Schmerz, das Erbrechen, die Verzweiflung. River sang wieder. Sie hatte die Augen geschlossen und malte andere Symbole auf meine Stirn, meine Augen, meine Wangen. Sie strich mir über die Schultern und berührte meine Knie. Allmählich wich meine Anspannung - ich war auf den Schmwerz vorbereitet, aber bis jetzt fühlte ich ihn nicht. Ich war ein Saatkorn, das unter der Erde aufbricht und sich der Wärme entgegenstreckt. Und ich war die Wärme, ich war das Licht und es war einfach ... grandios.
Ich sonnte mich eine Weile in dieser Empfindung und dann verblasste die Magie langsam. Hätte ich sie in die Hände nehmen können, hätte ich mich verzweifelt daran festgehalten. Aber sie wich immer weiter zurück wie ein Ozean bei Ebbe.
Ich öffnete die Augen. Langsam und verträumt machte auch River die Augen wieder auf. Sie sah mich an und ich glaubte, Verwunderung und vielleicht auch so etwas wie Furcht in ihren Augen zu sehen. Dann lächelte sie zufrieden. »Wie fühlst du dich?«, fragte sie.
Ich machte einen schnellen Systemcheck. »Oh, nicht schlecht«, sagte ich überrascht. »Müde. Entspannt. Traurig, dass es vorbei ist.«
»Das ist der schöne Teil daran«, entgegnete sie lächelnd, reckte sich und atmete tief ein. »Es ist nicht vorbei. Es ist immer da. Es ist in dir und du hast es berührt. Das ist die Art, wie die Tähti es machen, weißt du noch? Es ist viel schwerer, die Kraft in dir anzuzapfen - dazu bedarf es der Kontrolle und des Lernens. Sehr viel Lernens. Ohne die Beschwörung, die deine Energie gelenkt und kontrolliert hat, wärst du jetzt wieder dein altes Selbst und würdest auf dem Boden knien und dich übergeben. Aber so muss es nicht sein und das weißt du jetzt.«
Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Ein kurzes Hochgefühl durchströmte mich - vielleicht hatte ich doch keinenlächerlichen Fehler gemacht, vielleicht war es das alles wert, vielleicht würde ich dieses ganze Zeug wirklich irgendwannlernen.
Doch es war so schnell wieder vorbei, wie es aufgeflammt war, denn ich konnte einfach nicht glauben, dass mir etwas so Gutes passieren sollte.
River seufzte. »Ich bringe dich noch dazu, daran zu glauben«, sagte sie und stand auf.
Sprachlos erhob ich mich ebenfalls. Ich fühlte mich, als hätte ich erst Yoga gemacht und wäre dann noch einen Marathongelaufen.
River öffnete unsere Kreise und ich half ihr, die Steine einzusammeln. Ich sah mich um, ob wir nichts vergessen hatten.
Plötzlich tauchte ein Gesicht vor mir auf, ein schockierendes Gesicht. Ich schnappte nach Luft und ließ die Steine fallen.River fuhr herum und griff nach meinem Arm. » Was ist?« Unfähig, etwas zu sagen, zeigte ich auf das fremde Gesicht, die Erscheinung, die in dem dunklen Fenster in der Dachschräge aufgetauchtwar. Instinktiv duckte ich mich, versuchte, auf dem Boden in Deckung zu gehen.
River war sofort neben mir, die Hand auf meiner Schulter. Sie sah besorgt und merkwürdig amüsiert zugleich aus.
»Da ist jemand im Fenster«, zischte ich. »Wie ein Geist.«
Sie nickte ernst und strich mir das Haar aus der Stirn. »Ja, es ist wie ein Geist.«
Ich sah sie verständnislos an.
River ging zum Schrank und holte einen Spiegel heraus. Sie sah aufmerksam zu, als sie ihn mir vorhielt.
Der Geist. Der Geist war ich.
Ich versuchte zu schlucken. Ich plumpste mit dem Hintern auf den harten Boden und konnte den Blick nicht vom Spiegelabwenden.Wieder strich
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