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Entflammt

Entflammt

Titel: Entflammt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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Ich fühlte mich, als wäre ich nicht ich selbst oder als wüsste ich nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Als hätte der Finde-Zauber tatsächlich die Jahre ausgelöscht, nicht nur die äußere Erscheinung der Jahre. Alles kam mir neu und anders vor. Ich wollte nur noch in mein Zimmer und in den Spiegel starren.
    Die Dunkelheit umklammerte uns. Ich blieb dicht bei River und ließ das hell erleuchtete Haupthaus nicht aus den Augen. Etwas Schwereloses, Kaltes landete auf meiner Nase. Ich schaute auf und sah feine Schneeflocken vom Himmel rieseln.
    Es war kalt und dunkel und es schneite. Genau wie in meiner Kindheit, wie in so vielen meiner frühen Jahre. Deswegenbevorzugte ich wärmere Orte. Selbst in London wurde es nicht so kalt. So auszusehen wie damals und dann noch ein ähnliches Wetter zu erleben, erfüllte mich mit düsteren Gedanken und einer namenlosen Furcht.
    Wir erreichten die Stufen an der Küchentür, die von einem viereckigen Lichtfleck des Fensters beleuchtet wurden. Ich griff hastig nach dem Türgriff, denn ich wollte drinnen sein, bei anderen Menschen, aber River nahm meinen Arm und hielt mich auf. Ich sah sie an.
    »Damals warst du dort«, sagte sie sanft und markierte mit der Hand eine Stelle neben sich. »Jetzt bist du hier.« Sie streckte die andere Hand aus, weit entfernt von der ersten.
    »Die Zeit bewegt sich vorwärts. Du bist nicht mehr dort. Verstehst du?«
    »Hmm«, machte ich, obwohl ich es nicht verstand.
    River seufzte und öffnete die Küchentür. Sofort umfingen und Wärme, Licht und der Duft nach Essen. Die Küche war leer und aufgeräumt und das Licht brannte noch. Ich hatte Hunger, was komisch war. Mir war kein bisschen schlecht. »Birnenauflauf?«, fragte River und machte den großen Kühlschrank auf. »Und Tee.«

21
    Wenn man den Großteil seines Lebens damit,verbracht hat, ein Chamäleon zu sein und alles an sich immer
    wieder zu verändern, ist es ein echter Schock, sein ursprüngliches Ich im Spiegel zu sehen. Im Laufe der Jahre hatte ich jede nur erdenkliche Haarfarbe von Weiß bis Schwarz gehabt, ganz zu schweigen von Blau, Grün und Purpurrot, und jede Länge vom Stoppelschnitt bis zu hüftlang. Ich war klapperdürr, bäuerlich rund, dick und schwanger und zum Skelett abgemagert gewesen. Ich hatte die weiße Haut des Nordländers gehabt, wo sich die Sonne manchmal monatelang nicht zeigte, aber ich war auch walnussbraun gewesen, fast bronzefarben gebrannt von der Äquatorsonne, deren Wärme mir durch die Haut bis auf die Knochen gedrungen war.
    Jetzt sah ich aus wie das Ich, zu dem mein kindliches Ich herangewachsen war. Das war erschreckend und ich fühlte mich irgendwie nackt. Am Morgen zog ich mehrere Pullover übereinander, schlang mir einen flauschigen Schal um den Hals und band mir ein Tuch um den Kopf, was mich ironischerweise noch mehr aussehen ließ wie früher. Bauernlook.
    Schließlich ging ich zögernd nach unten. Ich war mit dem Tischdecken fürs Frühstück an der Reihe.
    In der Küche murmelte ich Daisuke und Charles, die Frühstücks— dienst hatten, ein schnelles Hallo zu. Mir fiel auf, dass die Küche wie immer sauber und ordentlich aussah, obwohl die beiden für dreizehn Leute kochten. Sie waren beide ruhige, vornehme Persönlichkeiten, die alles mit einer tiefen Gelassenheit erledigten. Brynne und Lorenz richteten immer ein Riesenchaos in der Küche an. Reyn war ordentlich. Nell brachte alles durcheinander. Jess und ich waren unorganisiert und ich wette, das überraschte niemanden.
    Ich schnappte mir hastig das Tablett mit dem Geschirr und flüchtete ins Esszimmer, das zu dieser Tageszeit noch ziemlich duster war. Innerlich fühlte ich mich so nervös, angespannt und hektisch wie schon seit Wochen nicht mehr.
    Sobald ich zur Arbeit kam, würde ich mich mit einer Packung Haarfärbemittel in die Angestelltentoilette verziehen.
    Die Küchentür schwang auf und Solis kam mit einem Armvoll frisch geschnittener Zweige herein. Ich nickte ihm zu, konnte ihn aber nicht ansehen. Er stellte eine große Vase auf den Esstisch und arrangierte die langen Zweige darin.
    »Blüten erzwingen«, sagte er und strich mit seinen sanften Fingernüber die Rinde. »Nicht mit Magie, sondern nur, indem man sie ins Warme stellt. Ist es falsch, etwas zu zwingen, gegen seine Natur zu reagieren?«
    Er schien beinahe mit sich selbst zu reden und sah mich nicht einmal an, und so hoffte ich, dass es keine echte Frage gewesen war. Besonders viel

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