Entflammte Herzen
quälen, Becky«, gab er mit sanfter Stimme zu bedenken. »Und Sie werden auch Emmeline und Rafe keine Hilfe sein, wenn Sie uns ebenfalls noch zusammenbrechen.«
Becky schob das Kinn ein wenig vor. »Ich lasse Emmeline nicht im Stich. Aber jetzt möchte ich John sehen. Ich muss ihn anfassen, ihn berühren, um mir ein für alle Mal darüber klar zu werden, dass er wirklich und wahrhaftig nicht mehr ist.«
»Also gut«, meinte der Doc mit einem tief empfundenen Seufzer und deutete mit dem Kopf in R ichtung Untersuchungszimmer. »Er ist da drüben.«
Mit der ganzen Würde einer Königin in Trauer begab sich Becky zu der Tür des Nebenraums, und Mandy beeilte sich, sie zu begleiten, obwohl es beileibe kein angenehmer Gedanke für sie war, sich einen Toten aus der Nähe anzusehen. Doch da es Mr. Lewis war, der dort auf einem Tisch lag, und John auf seine stille Art immer sehr nett zu ihr gewesen war, zwang sie sich, ihre Bedenken zu verdrängen.
So aufgebahrt auf diesem kalten Tisch, so reglos, still und bleich, sah John überhaupt nicht mehr aus wie er selbst. Seine Augen waren geschlossen, und jemand hatte ihm sein Hemd, seine Weste, Hose und Stiefel ausgezogen und ihn bis zu den Schultern mit einer indianischen Wolldecke bedeckt.
Becky trat neben ihn und nahm eine seiner Hände in die ihren. »Er ist so kalt«, flüsterte sie und blickte sich suchend nach Doc Boylen um. »Haben Sie nicht noch eine andere Decke?«
Es ehrte den Doc, dass er das Offensichtliche nicht zur Sprache brachte, sondern einfach nur eine Decke aus dem Schrank holte und sie Becky gab. Sie faltete sie auseinander und breitete sie zärtlich über John.
»So«, murmelte sie, und ihre Stimme war so sanft, als spräche sie zu einem kleinen Kind.
Ein Schluchzen entrang sich Mandys Kehle, und der Doc führte sie rasch hinaus und bot ihr einen Stuhl in seinem Empfangsraum an. »Sie wird schon wieder in Ordnung kommen«, versicherte er leise, als Mandy in Tränen ausbrach. »Und Emmeline ebenfalls.« Dann hielt er inne und sah Mandy prüfend in die Augen. »Sie werden uns doch nicht auch noch zusammenbrechen?«
Und da nickte Mandy paradoxerweise und schüttelte den Kopf. Der Arzt reichte ihr ein Taschentuch und wartete, während sie ihre Tränen trocknete und sich über ihre Empfindungen klar zu werden versuchte.
Sie weinte, weil der leblose Körper auf diesem harten, kalten Tisch dort drinnen genauso gut auch Kades hätte sein können. Dieser leichtsinnige Narr - glaubte er etwa, als McKettrick sei er unverwundbar? Und sie weinte auch um ihre Mutter, diese arme, verwirrte Dixie mit ihrer sanften, liebenswerten Seele und um all die verlorenen Kinder, ob geboren oder ungeboren. Einige ihrer Tränen waren aber auch für Cree und für sich selbst.
»Ich bemühe mich immer noch, die Dinge zu verstehen«, antwortete Mandy schließlich, als sie ihrer Stimme wieder traute, und wischte sich über die vom Weinen angeschwollenen Lider.
Doc Boylen lächelte betrübt. »Nun, da bemühen Sie sich wohl vergeblich. Ich habe nämlich das Gefühl, als gäbe es viel mehr Fragen auf der Welt als Antworten, mein Kind. Aber wir müssen trotz allem weiterleben, ob es uns nun recht ist oder nicht.«
Mandy hatte sich gerade wieder ein wenig gefangen, als der kleine Harry plötzlich in der Tür erschien, mit einem Gesicht, das so kreidebleich war, dass seine Sommersprossen geradezu daraus hervorzutreten schienen. Mandy blieb beinahe das Herz stehen, als sie ihn sah, weil ihr sofort klar war, dass er mit schlechten Nachrichten von Kade kam. Sie wusste es ganz einfach.
»Was ist, mein Junge?«, erkundigte sich Doc Boylen und erhob sich aus seinem Schreibtischsessel.
In Gedanken sah Mandy wieder ihn und Mrs. Sussex am Abend zuvor an ihr und Kade vorbeischlendern und machte sich so ihre Gedanken.
»Drüben bei uns ist jemand krank geworden«, stieß Harry hervor. »Ma meint, es könnte Diphtherie sein, und Sie sollen ganz schnell rüberkommen!«
»Auch das noch«, murmelte der Arzt, während er sich schon fieberhaft nach seiner Tasche umsah, sie auch gleich fand und rasch ergriff. Seine Augen blickten müde, als er Mandys Blick erwiderte. »Bringen Sie Becky nach Hause«, bat er. »Und kümmern Sie sich um Emmeline, so gut Sie können.« Und dann war er auch schon fort, eilte hinter Harry zur Tür hinaus und machte sich nicht einmal die Mühe, sie hinter sich zu schließen.
Mandy trocknete ihre Tränen, atmete tief durch und erhob sich von ihrem Stuhl. »Becky«,
Weitere Kostenlose Bücher