Entflammte Nacht
absetzten, der, wie Alexia nun erkannte, von Linien durchzogen wurde. Der kleine Mann machte sich Notizen und zeichnete Skizzen ihrer Lage.
Alexia versuchte, an etwas Beruhigendes zu denken, doch allmählich wurde sie genauso wütend wie verängstigt. Sie war es leid, als Versuchsobjekt betrachtet zu werden.
»Wissen Sie, man hat mir uneingeschränkten Zugang zu den Aufzeichnungen ihres Außernatürlichenzuchtprogramms gegeben. Sie haben beinahe ein Jahrhundertlang herauszufinden versucht, wie man Ihre Spezies erfolgreich züchten kann.«
»Menschen züchten? Nun, das kann nicht allzu schwierig sein. Ich bin immer noch ein Mensch, erinnern Sie sich?«
Herr Lange-Wilsdorf schenkte dem keine Beachtung und fuhr mit seinen Folgerungen fort. »Außernatürliche Fähigkeiten vererben sich stets weiter, aber für die niedrige Geburtenrate und für die Seltenheit weiblicher Exemplare wurde nie eine Erklärung gefunden. Außerdem litt das Programm unter der Schwierigkeit der räumlichen Aufteilung. Die Babys etwa konnten nicht im selben Zimmer oder sogar im selben Haus bleiben wie ihre Mütter.«
»Und was geschah?« Alexia konnte ihre Neugier nicht im Zaum halten.
»Das Programm wurde gestoppt. Ihr Vater war einer der Letzten, wissen Sie?«
Alexias Augenbrauen schossen himmelwärts. »Wirklich?«
Hörst du das, ungeborenes Ungemach, dein Großvater wurde von religiösen Fanatikern als eine Art biologisches Experiment gezüchtet. So viel zu deinem Familienstammbaum.
»Wurde er von den Templern auch aufgezogen?«
Herr Lange-Wilsdorf bedachte sie mit einem eigentümlichen Blick. »Mit den Einzelheiten bin ich nicht vertraut.«
Alexia wusste absolut nichts über die Kindheit ihres Vaters. Seine Tagebücher begannen erst mit seiner Zeit an einer Universität in Großbritannien und waren, wie sie vermutete, ursprünglich dazu gedacht gewesen, die englische Grammatik zu üben.
Der kleinwüchsige Wissenschaftler schien der Meinung zu sein, ihr nichts mehr erzählen zu sollen. Er wandte sich wieder seinem Blasebalg und dem Glaskugelgerät zu, machte ein paar letzte Notizen und führte dann eine Reihe komplizierter Berechnungen durch. Als er damit fertig war, steckte er mit einer entschiedenen Geste den Füllfederhalter ein.
»Wirklich bemerkenswert.«
»Was ist bemerkenswert?«
»Es gibt nur eine einzige Erklärung für solche Ergebnisse. Dass Sie Spuren von innerem Äther aufweisen, der sich in Ihrer – wie sagt man? – Körpermitte sammelt, sich aber falsch verhält, als wäre er gebunden, aber auch wieder nicht, so als würde er sich in einem Zustand des Flusses befinden.«
»Na, wie schön für mich.« Dann aber runzelte Alexia die Stirn, denn ihr vorheriges Gespräch kam ihr wieder in den Sinn. »Aber Ihrer Theorie zufolge dürfte ich doch überhaupt keinen inneren Äther haben.«
»Ganz genau.«
»Also ist Ihre Theorie falsch.«
»Oder die Flussreaktion stammt von dem Embryo«, rief Herr Lange-Wilsdorf ziemlich euphorisch aus, als stände er kurz davor, alles erklären zu können.
»Wollen Sie damit andeuten, dass Sie endlich verstehen, was mit meinem Kind ist?« Alexia wurde beinahe ebenso aufgeregt. Endlich!
»Nein, aber ich kann mit absoluter Zuversicht behaupten, dass ich sehr, sehr kurz davor bin.«
»Komisch, das finde ich nicht im Geringsten beruhigend.«
In Reitkleidung stand Lord Akeldama in der Tür zu Professor Lyalls Büro. Es war ohnehin schwer, in seinem Gesicht zu lesen, und unter Umständen wie diesen war es nahezu unmöglich.
»Guten Abend, Mylord! Wie geht es Ihnen?«
»Ach, mein Guter, einigermaßen, einigermaßen. Und Ihnen?«
Natürlich waren sie sich in der Vergangenheit bereits bei mehr als einer Gelegenheit begegnet. Lyall hatte Jahrhunderte an der großen Sahnetorte der feinen Gesellschaft geknabbert, bei der Persönlichkeiten wie Lord Akeldama die Zuckergussglasur waren. Ein kluger Mann behielt stets ein waches Auge auf die Glasur, selbst wenn er die meiste Zeit damit verbrachte, die Krümel zu beseitigen. Die Zahl der Übernatürlichen war klein genug, um die meisten von ihnen im Blick zu behalten, ob sie sich nun in den Büros von BUR oder in den Soldatenquartieren herumtrieben oder in den besten Salons der feinen Gesellschaft.
»Ich muss gestehen, dass ich schon bessere Abende erlebt habe. Willkommen im Hauptquartier von BUR , Lord Akeldama. Bitte kommen Sie doch herein.«
Der Vampir verharrte einen Augenblick auf der Türschwelle, denn er hatte den schlafenden Biffy
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