Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)
den Mut anderer außerordentlich bewunderte, schätzte er doch den eigenen, Alan Brecks Mut, am allerhöchsten ein.
XIII. Die Brigg strandet
Es war schon spät am Abend und ein wenig schummerig, wie es um diese Jahreszeit immer ist, als Hoseason seinen Kopf zur Kajütentür hereinsteckte.
»Hört mal«, sagte er zu Alan, »kommt raus und seht, ob Ihr uns jetzt lotsen könnt.«
»Ist das wieder einer von Euren schmutzigen Kniffen?« fragte Alan.
»Sehe ich aus, als ob mir der Sinn nach Kniffen stünde?« versetzte der Kapitän. »Ich habe andere Sorgen. Meine Brigg ist in Gefahr.«
Sein verstörter Gesichtsausdruck, vor allem aber die erregte Stimme, mit der er von seiner Brigg sprach, bewies uns, daß es ihm bitterer Ernst war. Daher traten Alan und ich ohne allzugroßes Mißtrauen auf das Deck hinaus.
Der Himmel war klar. Ein scharfer Wind blies, und es war grimmig kalt.
Das Tageslicht verbreitete noch einen schwachen Dämmerschein; doch der Vollmond leuchtete schon sehr hell. Die Brigg hatte beigedreht, um sich dicht am Wind zu halten. Wir wollten die Südwestspitze der Insel Mull umschiffen. Die Berge auf der Insel, vor allem der Ben More, dessen Gipfel sich im Nebel verlor, lagen backbords zum Bug. Obgleich es hier für die »Covenant« nicht ungefährlich war, stob sie in rascher Fahrt dahin und stampfte und rollte, vom westlichen Seegang hin und her geschleudert.
Im großen und ganzen war an diesem Abend gar nicht das schlechteste Wetter, um dem Seegang standzuhalten, und ich überlegte schon, was den Kapitän wohl so besorgt machte, als die Brigg plötzlich auf einen Wellenkamm gehoben wurde und er uns zuschrie, Umschau zu halten. Er wies ins Meer hinaus, und wir sahen leewärts so etwas wie einen Springbrunnen hochschießen, und gleich darauf hörten wir ein dumpfes Brüllen.
»Wofür haltet Ihr das?« fragte der Kapitän mit bedrückter Stimme.
»Die See bricht sich an Felsenriffen«, antwortete Alan. »Nun wißt Ihr, wo sie sind, was könnt Ihr mehr verlangen?«
»Ach«, seufzte der Kapitän, »wenn sie nur an der einen Stelle wären.«
Und tatsächlich schoß, noch während er sprach, weiter südlich ein zweiter Springbrunnen hoch.
»Da«, sagte Hoseason, »da seht Ihr es selbst. Ja, wenn ich wüßte, wo diese Riffe liegen, wenn ich eine Seekarte hätte und Shuan nicht umgekommen wäre, keine sechzig, nein, keine hundert Guineen hätten mich dazu gebracht, die Brigg in ein solches Felsengewirr hineinzusteuern. Und Euch, Sir, Euch, der uns doch lotsen wollte, hat es wohl die Sprache verschlagen?«
»Ich überlege«, sagte Alan, »das müssen die sogenannten Torran-Felsen sein.«
»Sind es viele?« fragte der Kapitän.
»Guter Mann, bin ich ein Lotse? Aber ich erinnere mich, daß sie sich auf einer Strecke von zehn Meilen hinziehen.«
Mr. Riach und der Kapitän wechselten rasch einen verstohlenen Blick.
»Es muß doch gewiß eine Durchfahrt geben«, sagte der Kapitän.
»Zweifellos«, meinte Alan, »aber wo ist sie? Ich glaube mich auch zu entsinnen, daß sich dicht längs der Küste eine freie Wasserstraße befindet.«
»So«, sagte Hoseason, »nun, Mr. Riach, dann müssen wir vor den Wind gehen. Wir werden so dicht an die Insel Mull herankreuzen wie nur möglich, und selbst dann hält die Küste den Wind ab, und wir haben die Riffe an der Leeseite. Na, wir sitzen nun mal in der Tinte; was bleibt uns anderes übrig, als es durchzustehen.«
Dann gab er dem Matrosen am Steuer einen Befehl und schickte Riach zum Vormars.
Mit den Offizieren waren insgesamt nur fünf Leute an Deck – mehr waren nicht arbeitsfähig oder arbeitswillig. Daher mußte Mr. Riach, wie ich schon sagte, in die Takelung klettern. Da saß er nun und winkte und schrie uns zu, was er sah.
»Nach Süden zu ist hoher Seegang!« rief er, und nach einer Weile: »An, der Küste wird das Meer glatter!«
»Also schön«, sagte Hoseason, »wir wollen Euren Rat befolgen, aber wir könnten uns wohl ebensogut einem blinden Spielmann anvertrauen. Gott gebe, daß Ihr recht habt.«
»Gott gebe es«, sagte Alan zu mir. »Wo habe ich das mit den Felsenriffen und der freien Durchfahrt nur gehört? Nun, es komme, was da kommen muß.«
Je mehr wir uns der Küste näherten, desto häufiger konnten wir Felsenriffe sichten. Sie lagen direkt vor uns, und Mr. Riach rief uns von Zeit zu Zeit zu, wir sollten den Kurs ändern; zuweilen gerade noch im letzten Augenblick; denn oft waren wir einem Felsenriff so nahe gekommen, daß die Spritzer
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