Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)
habe. Nein, nein«, fügte Alan hinzu, »nicht du verdienst einen Tadel, sondern ich.«
»Weshalb?« fragte ich.
»Weshalb? Nun, weil ich mich heute nacht wie ein Narr benommen habe. Zuerst einmal habe ich mich im Weg geirrt, noch dazu in meiner Heimat Appin, so daß wir in einer Gegend, in die wir nie im Leben hätten kommen dürfen, vom Tageslicht überrascht wurden. Deshalb müssen wir jetzt an dieser gefährlichen und noch dazu höchst unbequemen Stelle liegenbleiben. Was aber das Allerschlimmste für einen Mann ist, der sich so gut in der Heide auskennt wie ich, wir haben keine Wasserflasche bei uns, und jetzt werden wir hier den lieben langen Sommertag liegen müssen und haben nichts zu trinken als puren Branntwein. Du meinst vielleicht, das sei nicht so schlimm, David. Nun, heute abend wirst du anders darüber denken.«
Da ich darauf aus war, die Scharte von vorhin wieder auszuwetzen, schlug ich Alan vor, den Schnaps wegzuschütten; ich würde zum Wasser hinunterklettern und die Flasche im Fluß füllen.
»Das geht nicht«, sagte Alan, »den Branntwein dürfen wir auch nicht vergeuden. Heute nacht hat er dir gute Dienste geleistet. Denn ohne ihn würdest du, nach meiner unmaßgeblichen Meinung, noch da drüben auf dem Felsen hocken. Und was noch wichtiger ist: Scharfsinnig wie du bist, hast du vielleicht gemerkt, daß Alan Breck noch ein wenig schneller gerannt ist als sonst.«
»Wahrhaftig«, rief ich, »Ihr seid gelaufen wie ein Hase, mir hat es den Atem verschlagen, und Ihr seid beinah aufgeplatzt.«
»Bin ich das wirklich, David? Nun, dann darfst du überzeugt sein, daß wir keine Zeit zu versäumen hatten. Doch jetzt genug geredet. Versuche zu schlafen, Junge, ich werde Wache halten.«
Gehorsam tat ich, wie er geheißen. In die Mulde war etwas Moorerde geweht: darin wuchs ein wenig Heidekraut. Auf diesem Lager rollte ich mich zusammen, und das letzte, was ich hörte, war das Schreien der Adler.
Es mochte zehn Uhr morgens sein, als ich ziemlich rauh wachgerüttelt wurde, und gleichzeitig spürte ich, wie Alan mir den Mund zuhielt.
»Pst«, flüsterte er, »du schnarchst.«
»Na«, sagte ich, erstaunt über sein besorgtes, finsteres Aussehen, »warum denn nicht?«
Er spähte über den Felsrand und gab mir ein Zeichen, dieses ebenfalls zu tun.
Inzwischen war es heller Tag geworden. Der Himmel war wolkenlos und die Luft sehr heiß und klar; jede Einzelheit ringsumher war deutlich zu erkennen. Etwa eine Meile flußaufwärts hatten ein paar Rotröcke am Ufer ihr Lager aufgeschlagen. Sie hockten im Kreis um ein großes Feuer und kochten darauf irgend etwas. In der Nähe, auf einem Felsen, der ungefähr so hoch war wie unserer, stand ein Posten; seine Waffen funkelten in der Sonne. Den ganzen Flußlauf entlang waren Wachen aufgestellt worden, bald in geringeren, bald in etwas weiteren Abständen, einige wie der, den ich zuerst gesehen hatte, auf erhöhten Standorten, andere im Talgrund. Sie schritten auf und ab und begegneten einander auf halbem Wege. Weiter oben im Tal, wo das Gelände übersichtlicher war, wurde die Postenkette durch berittene Rotröcke ergänzt, die wir in der Ferne hin und her reiten sahen. Weiter unten gab es noch mehr Soldaten. Da sich der Strom dort durch den Zufluß eines Bergbaches erheblich verbreitert hatte, waren zwischen den einzelnen Posten größere Abstände, denn hier brauchten sie nur die Furten und die zum Überqueren benutzten Felsblöcke zu beobachten.
Ich warf nur einen kurzen Blick in die Runde und duckte mich tiefer in unsere Mulde. Es war wirklich sehr eigenartig zu sehen, wie dieses Tal, das in der Morgendämmerung so verödet und menschenleer gewesen war, jetzt von Waffen starrte und von Rotröcken wie von ungezählten roten Punkten wimmelte.
»Siehst du, Davie, und davor hatte ich Angst«, sagte Alan. »Ich habe befürchtet, daß sie die Wasserläufe und besonders die seichten Stellen bewachen würden. Vor ungefähr zwei Stunden sind die ersten angekommen. Ach, Junge, du hast einen gesegneten Schlaf. Wir sitzen schwer in der Tinte; wenn sie die Berghänge hinaufklettern, können sie uns mit ihren Ferngläsern leicht entdecken. Wenn sie nur im Tal bleiben, werden wir es vielleicht schaffen. Da unten am Fluß sind die Zwischenräume von einem Posten zum nächsten größer. Sobald es dunkel wird, werden wir versuchen, dort irgendwo durchzuschlüpfen.«
»Und was tun wir, bis es dunkel wird?« fragte ich.
»Wir bleiben hier liegen und brutzeln in der
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