Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)
bot.
Langsam kamen wir wieder etwas zu Kräften, und da die Soldaten jetzt mehr längs des Flußufers lagerten, schlug Alan vor, wir sollten versuchen wegzukommen. Mir graute nur vor einem: wieder auf den Felsen zurück zu müssen. Alles übrige war mir recht. So machten wir uns abmarschbereit und glitten von einem Felsblock zum anderen; bald krochen wir in ihrem Schutz flach auf dem Bauch weiter, bald rannten wir mit vor Angst klopfendem Herzen ein Stück Weges.
Da die Soldaten diese Seite des Ufers ziemlich gründlich abgesucht hatten und vielleicht von der Hitze auch etwas schläfrig geworden waren, ließen sie in ihrer Wachsamkeit erheblich nach. Dösend standen sie auf ihren Plätzen oder richteten ihr Augenmerk auf die beiden Uferseiten. Da wir nun talabwärts krochen und uns gleichzeitig auf die Berge zu hielten, entfernten wir uns ständig weiter von ihnen. Aber dieses langsame Davonschleichen war aufreibender als alles, was ich bisher auf unserer Flucht erlebt hatte. Man hätte hundert Augen haben müssen, um in dem unebenen Gebiet, angesichts so vieler Wachposten, unbemerkt durchzuschlüpfen. Sobald wir eine freie Stelle überqueren mußten, half uns nicht nur die Fixigkeit unserer Beine, das ganze Gelände mußte auch rasch übersehen und darüber hinaus jeder Stein, den unser Fuß berührte, zuvor auf seine Festigkeit geprüft werden; denn es war nachmittags so windstill geworden, daß das Geräusch eines rollenden Kieselsteins zwischen den Felswänden und Klippen fast wie ein Pistolenschuß dröhnte.
Als die Sonne unterging, hatten wir trotz unseres langsamen Vorwärtskommens eine beachtliche Strecke zurückgelegt, konnten aber die Wachposten auf den Felsenspitzen noch immer gut sehen.
Wir kamen jetzt zu einer Stelle, an der sich alle Furcht legte. Hier rauschte ein Fluß bergab und ergoß sich gleich darauf in den breiten Strom. Als wir ihn erreichten, kauerten wir davor nieder und tauchten Kopf und Schultern ins Wasser. Ich vermag nicht zu sagen, was genußreicher war, das kühl über uns hinwegfließende oder das gierig eingeschlürfte Naß, an dem wir unseren brennenden Durst stillten.
Dort lagen wir im Schutz der Uferböschung, tranken wieder und wieder, netzten Arme, Brust und Leib, ließen die Hände ins Wasser hängen und die Handgelenke von der Strömung umspielen, bis sie uns vor Kälte schmerzten. Nachdem wir uns herrlich erfrischt hatten, holten wir unseren Mehlsack hervor und rührten in dem eisernen Tiegel einen Brei an, und wenn es auch nur Hafermehl mit kaltem Wasser verrührt war, so schmeckte es uns ausgehungerten Flüchtlingen doch großartig. Für Leute, die keine Möglichkeit haben, ein Feuer anzuzünden – und wir hatten alle Ursache, es zu unterlassen –, ist dies die beste Nahrung, besonders aber für Menschen, die durch die schottische Heide fliehen müssen.
Sobald es dunkelte, brachen wir wieder auf, zuerst mit der gleichen Vorsicht wie bisher, aber bald mit größerer Kühnheit. Wir gingen nicht mehr gebückt, sondern schritten rüstig aus.
Der Weg war sehr mühsam und voller Hindernisse, denn er führte an steilen Felswänden entlang, über Klippen und Kämme hinweg und durch dichtes Gestrüpp. Nach Sonnenuntergang waren Wolken aufgezogen, und die Nacht war finster und kühl.
Ich ermüdete zwar beim Vorwärtsgehen nicht sehr, hatte aber ständig Angst, zu stolpern oder einen Berghang hinabzustürzen. Von der Wegrichtung hatte ich keine Ahnung.
Wir hatten noch immer keine Rast gemacht. Endlich stieg der Mond auf; er stand im letzten Viertel und wurde lange Zeit von ziehenden Wolken verdeckt, trat aber schließlich deutlicher hervor und ließ uns die dunklen Gipfel der Berge wiedererkennen. Zu unseren Füßen spiegelte er sich in einem schmalen Meeresarm.
Bei diesem Anblick blieben wir stehen. Ich staunte, daß wir uns in so großer Höhe befanden und, wie mir schien, zwischen Wolken wanderten. Alan schaute umher, um sich zu vergewissern, daß er die Richtung nicht verfehlt hatte.
Offensichtlich war er sehr zufrieden und davon überzeugt, daß unsere Verfolger uns nicht mehr hören konnten, denn er verkürzte uns den Rest des Weges damit, daß er viele Melodien pfiff, kriegerische, fröhliche und traurige Weisen, in einem Rhythmus, bei dem die Füße von selbst schneller ausschritten; Weisen aus meiner Heimat im Süden des Landes, die mein Verlangen, endlich nach Hause zu kommen und mit dem Abenteuerleben Schluß zu machen, in nie gekannter Stärke anwachsen
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