Entfuehrt
wissen, warum du immer noch nicht mit meiner Mutter zusammen bist.«
Cals Augen richteten sich aufmerksam auf sie. Ihr wurde bewusst, dass er vermutlich schon seit einiger Zeit die Vermutung hegte, sie wisse Bescheid. Und als sie ihre Mutter erwähnte, wurden seine Gesichtszüge ganz weich. Aber er antwortete nicht.
»Du hattest die Gelegenheit, bevor sie verheiratet war und sogar danach … Und du hast gewusst … Über mich hast du alles gewusst, und du hast nichts getan. Und dann, nach dem Tod meines Vaters hast du in all den Jahren …« Sie zögerte, wischte sich ungeduldig die Tränen aus dem Gesicht. »Hast du sie je geliebt?«
»Natürlich habe ich sie geliebt, Izzy. Darum habe ich mich von ihr ferngehalten.«
»Das verstehe ich nicht.«
Cal schüttelte den Kopf. Er starrte an ihr vorbei in die Küche, und sie wusste, er sah eine völlig andere Szenerie als die unschuldigen Hochschränke, die Granitarbeitsplatte oder die Edelstahlspüle. »Ich bin ein schlechtes Los. Ein guter Matrose, das stimmt wohl. Aber ich wäre kein guter Ehemann. Ich bin der Typ Mann, der auf alles oder nichts setzt. Ich liebe meine Einsamkeit zu sehr, um sie aufzugeben.«
»Liebst du die Einsamkeit so sehr, dass du nie darüber nachgedacht hast, dich der Verantwortung für ein Kind zu stellen?«, fragte sie.
Er streckte die Hand nach ihr aus, aber sie wich ihm aus und schüttelte den Kopf. »In all den Jahren habe ich mir immer eingeredet, dass du aus Respekt vor meinem Vater fortgeblieben bist und es nicht zugegeben hast. Aber damit hatte es überhaupt nichts zu tun. Es ging immer nur darum, was du wolltest. Was dir guttat.«
»Izzy, du verstehst nicht …«
»Dann erklär es mir.«
»Es ist zu kompliziert.« Er entfernte sich einige Schritte von ihr und ließ sie im Flur stehen. Sie drehte sich zum Fenster um. Jake stand draußen auf der Veranda. Er hatte ihr den Rücken zugewandt.
»Ich habe deine Mutter am Telefon«, rief Onkel Cal aus seinem Büro. Er ließ sie im Büro allein und schloss die Tür hinter sich. Sie nahm den Hörer.
»Izzy, Liebes …«
Isabelle unterbrach ihre Mutter. »Ich habe bisher Onkel Cals Version gehört, und ich vermute, deine klingt ähnlich. Sag mir nur, warum du das getan hast, Mom«, sagte sie leise.
»Cal und ich wollten es von dir fernhalten. Ich wollte keine weiteren Ermittlungen riskieren, weil ich nicht wollte, dass die Presse Wind davon bekommt. Wir waren so froh, den Vorfall unter Verschluss halten zu können.«
Isabelle hatte keine Zweifel, dass ihre Mutter all das nur mit den besten Absichten getan hatte. Sie war froh gewesen, weil es in den Medien keine Berichte über ihre Entführung gegeben hatte, und war sogar noch glücklicher, als das FBI und die CIA sie nicht zu weiteren Befragungen zwangen.
Natürlich hatte sie geglaubt, die Ermittlungen seien aus einem völlig anderen Grund eingestellt worden. Sie hatte geglaubt, der Fall sei abgeschlossen.
Der Fall war nicht abgeschlossen – bei Weitem nicht. Auch jetzt wusste sie nicht, ob sie irgendwem die ganze Wahrheit gestehen würde. Es würde nichts ändern, wenn man wusste, dass sie mit Rafe zusammengewesen war. Es würde nicht helfen, ihn schneller zu fassen. Nein, im Gegenteil: Damit verwischten nur die klaren Linien zwischen Gut und Böse.
»Wir haben gedacht, wir könnten seinen Forderungen nachkommen und ihn fassen, bevor du herausfindest, dass er sich noch da draußen herumtreibt«, gab Jeannie zu. »Aber ich weiß, dass Rafe zurückkommt. Jetzt ist es also müßig, weiter darüber nachzudenken. Er hat mich angerufen. Ich habe es Cal gerade schon gesagt: Ich will, dass das FBI sich der Angelegenheit annimmt. Ich will mir die Gelegenheit kein zweites Mal entgehen lassen.«
»Du hast mit ihm geredet? Rafe hat dich angerufen?«, fragte sie und hieb mit der Faust auf den Schreibtisch. »Ich werde mit dem FBI nirgendwo hingehen. Wage es ja nicht, Onkel Cal dort anrufen zu lassen.«
»Izzy, bitte! Nachdem nun alles ans Licht gekommen ist, musst du dich der Vernunft beugen. Es gibt eine reelle Gefahr, dass …«
Als Rafe sie gefesselt und hilflos zurückgelassen hatte, waren seine letzten Worte gewesen: Ich sehe dich schon bald wieder, Isabelle. Verlass dich drauf.
Verlass dich drauf. Nein, sie hatte sich nicht darauf verlassen, und sie hatte nur zu gern geglaubt, dass Rafe für alle Zeiten weggesperrt war.
Wenn sie zurückschaute, merkte sie erst, wie sehr sie der Gedanke, Rafe sei hinter Schloss und Riegel, beruhigt
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