Entfuehrt
durchzuladen. Während der drei Tage, als ich auf irgendeinen geheimnisvollen Feind gewartet habe, der hinter mir her war. Ich vermute, das war seine Art, mich an ihn zu binden. Vielleicht hat es ihm einen Kick gegeben, weil er wusste, dass ich mich wehren konnte, aber nie eine Chance gegen ihn gehabt hätte.«
Seine Nasenflügel blähten sich leicht. »Was für eine Waffe?«
»Eine Neunmillimeter.«
Er griff hinten in den Bund seiner Jeans und zog eine Waffe hervor, die er am Lauf hielt, während er sie ihr reichte. »Trag sie ab jetzt ständig bei dir. Ohne Waffe gehst du nirgendwo mehr hin.«
Er straffte die Schultern. Sie hätte anhand dieser Reaktion wissen müssen, was vor sich ging, aber sie hörte sich dennoch fragen: »Sie haben ihn nicht am Flughafen erwischt, stimmt’s?«
»Nein, sie haben ihn nicht erwischt.«
»Dann ist er auf dem Weg hierher.«
»Ja.«
Sie musste sich zwingen, nicht aufzuschreien. Zum Glück wurde ihr die Kehle so eng, dass ihr nicht der kleinste Laut entfuhr.
Clutch und Sarah hatten vor einer Stunde in dem Hotel eingecheckt, das dem Bujumbura Airport am nächsten lag. Jetzt stand sie vor ihm und versorgte die schlimmsten Schürfwunden auf seinem Rücken und an seinen Handgelenken, wo das Seil ins Fleisch geschnitten hatte.
Sie drückte das bisschen Eis, das sie an der Rezeption hatte erbetteln können, in ein Handtuch gewickelt gegen Clutchs Hinterkopf, obwohl er darauf bestand, dass sie das Meiste abbekommen hätte, als er sie zu Boden riss. Aber sie sah deutlich, dass er mehr Schmerzen hatte als sie. Das würde er nur nie zugeben.
Vor dem heutigen Tag hätte sie sich ihm gegenüber ebenso heroisch verhalten.
Er streckte die Handgelenke aus. Es war wie eine Einladung. Sie tupfte ein Antiseptikum darauf und blies dann auf die Abschürfungen, um den Schmerz zu lindern. So hatte es ihre Mutter früher auch immer gemacht, wenn sie mit aufgeschlagenen Knien nach Hause gekommen war.
»Warum starrst du mich so an?«, fragte sie, ohne aufzublicken.
»Weil du so schön bist.«
»Ich bin total zerzaust«, widersprach sie. Sie hatte sich als Erste den Dreck abgeduscht, aber auch nur, weil Clutch darauf bestanden hatte. In der Zwischenzeit erledigte er den Anruf in den Staaten. Clutch wollte nicht, dass sie hörte, wie er die Ereignisse schilderte. Wie Rafe ihnen entkam. Wie sie Isabelle erneut im Stich gelassen hatte.
Clutch streichelte ihr halbtrockenes Haar, das ihr auf die Schultern fiel. »Du hast dein Bestes getan.«
»Nein, habe ich nicht. Als Rafe und Izzy sich näherkamen, habe ich gedacht, das wäre schon in Ordnung. Ich habe mich damit arrangiert«, erklärte sie. »Und dann hat mir Izzy eines Tages erzählt, sie hätte die Sache mit Rafe beendet. Und da wusste ich es. Ich wusste es einfach.«
Sie atmete zittrig aus. »Ich hätte es ihr fast erzählt. Hätte sie beinah aus dem Camp mitgenommen und wäre mit ihr zum Flughafen gefahren. Sie hätte fast eine Chance gehabt.«
»Sarah …«
»Nein, sag nichts. Es gibt nichts, das du sagen kannst und das mein Verhalten rechtfertigt«, sagte sie tonlos.
»Du warst nicht bei Verstand. Du hast in einem Zustand ständiger Wachsamkeit gelebt. Du hast einfach nur funktioniert. Und du hast dafür bezahlt.«
»Werde ich irgendwann genug bezahlt haben?«, fragte sie. »Isabelle wird mir das nie vergeben. Zumindest sollte sie mir nie vergeben.«
»Zuerst musst du dir selbst vergeben.«
Sie schüttelte den Kopf, als sei das unmöglich. »Ich hoffe, sie erfährt es nie. Ist das selbstsüchtig? Ich will nicht, dass sie je erfährt, was ich getan habe. Ich will, dass sie sich an das Gute in unserer Freundschaft erinnert. Sie soll meinetwegen nicht noch mehr Schmerz und Schuld auf sich laden. Ich bin diejenige, die diese Bürde tragen muss.«
»Ich glaube, das ist nicht selbstsüchtig«, sagte er leise.
Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt gegessen oder geschlafen hatte. Im Moment war das auch egal. Wichtig war, dass Clutch gesund und in einem Stück vor ihr saß. Auch wenn sie ihn so gern fragen würde, was jetzt passierte, gab es etwas anderes, das ihr im Augenblick wichtiger war.
»Bleib so«, sagte sie. Er blieb auf der Bettkante sitzen. Er trug nichts außer dem kleinen Hotelbadetuch um die Hüften. Seine Pupillen waren leicht geweitet. Sie wussten beide, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Gehirnerschütterung bestand. Sie würden heute Nacht nicht besonders viel Schlaf bekommen.
»Was machst du da?«,
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