Entfuehrt
nun dort zur Schule gehen. Steve arbeitete nachmittags. So konnte er seinen Rausch vom Vorabend ausschlafen und hatte immer noch die Abende frei.
Damals hatte Nick noch seinen Luftröhrenschnitt gehabt und sich geweigert zu sprechen, obwohl er absolut dazu in der Lage war. Man glaubte, er sei zurückgeblieben, und steckte ihn in einen Förderkurs. Allein. So sahen die Privilegien der Reichen aus. Sie konnten ihre Kinder, die anscheinend nicht perfekt waren, einfach in einen Käfig stecken.
Nick und Isabelle hatten vielleicht mehr gemeinsam, als sie glaubten. Jake wusste auch, dass Reichtum einen vor nichts beschützen konnte.
Seine Söhne hatten einfach nur Glück, dass Kenny sich um ein größeres Problem kümmern musste. Andernfalls hätte er wenigstens einem der Jungs nachgesetzt. Das wiederum hätte auch die anderen beiden in die Sache hineingezogen, weil sie sich die Philosophie, keinen Mann zurückzulassen, auch jenseits ihrer Missionen zu eigen gemacht hatten. Das war schon immer so gewesen.
Kennys Privatjet war das letzte Flugzeug, das in Virginia abheben durfte. Dem Sturm war er zunächst entkommen, aber ihm war klar, dass er ihn spätestens in New York einholen würde.
Le bon Dieu mait la main.
»Was sagten Sie, Sir?«
Er blickte auf und begegnete dem Blick der jungen Krankenschwester, die hinter der Theke der Notaufnahme stand. Erst jetzt merkte er, dass er laut gesprochen hatte. »Entschuldigung. Ich sagte nur … es bedeutet so viel wie Gott hilft .«
»Gottes Hilfe können wir hier immer gut gebrauchen.« Sie lächelte ihn kurz an. Es war das Lächeln einer Frau, die täglich zu viel Leid und Elend sah. Er wollte ihre Hand nehmen und ihr sagen, dass sie einen zu hohen Preis zahlte. Aber er tat es nicht. Vermutlich hielt sie ihn jetzt schon für verrückt.
Er war gerade rechtzeitig im Krankenhaus eingetroffen, um zu hören, wie der Assistenzarzt in der Notaufnahme um 2:03 Uhr nachts den Bassisten einer seiner bekanntesten Bands für tot erklärte. Ihm blieb nur noch, die Rechnung für den Sänger zu bezahlen, dem zur gleichen Zeit der Magen ausgepumpt wurde. Kenny füllte die Formulare aus. Der einzige Vorteil des Wetters war, dass die Paparazzi noch keinen Wind von der Sache bekommen hatten.
»Sind Sie fertig, Sir?«, fragte die Krankenschwester zum dritten Mal. Nein, das war er nicht. Er musste immer wieder den Stift beiseitelegen, den sie ihm zum Ausfüllen der Formulare gegeben hatte. Die Schwingungen aller Menschen, die den Stift in dieser Nacht schon berührt hatten, durchzuckten ihn. Ihre Ängste und Schmerzen gingen ihm unter die Haut.
Es half ein bisschen, wenn er das kurze Cajun-Gebet wiederholte.
Krankenhäuser waren nichts für ihn. Zu viele Menschen in Not, zu chaotisch. Er konnte zwar die Toten nicht sehen, aber an Orten wie diesem wurden seine übersinnlichen Fähigkeiten trotzdem aufs Äußerste strapaziert.
»Ich bin fertig«, sagte er schließlich, warf den Stift auf den Tresen und schob der Krankenschwester, auf deren Namensschild Peggy stand, das Klemmbrett hinüber. Sein Verstand trübte sich, und ein Bild begann sich zu formen …
Non. Sa c’est de trop.
»Das ist zu viel«, murmelte er, rieb sich die Oberarme und wies die Bilder von sich. Dann wandte er sich ab und ging.
Wenn er sich bewegte, wurde es besser. Die Gefühle waren nicht so intensiv. Unglücklicherweise war das Wartezimmer in diesem großen Krankenhaus überfüllt, und das Brüllen in seinem Kopf würde erst nachlassen, wenn er etwas davon zuließ.
Er zog sich in eine Nische zurück, setzte sich auf die Fensterbank, schloss die Augen und presste seine Stirn gegen das kalte Glas. In dieser Woche jährte sich der Todestag von Jakes Stiefvater. Dann wurde Jakes Aura immer besonders empfindlich. Aber noch etwas viel Größeres geschah mit Jake. Kenny konnte es immer noch nicht genau bestimmen. Und die um ihn herum herrschende Angst half da auch nicht weiter.
Als er die Augen öffnete, sah er, wie vor dem Fenster bereits der erste Schnee fiel.
Nick fand noch die Gesellschaft, die er gesucht hatte. Nach der Schlägerei und kurz bevor die Polizei gerufen wurde, verdrückte er sich durch die Hintertür. Es war mehr der Versuch, dem Zorn seines Vaters zu entkommen und nicht dem Gesetz. Er lief einer hübschen Frau über den Weg, deren Name mit einem R begann. Vielleicht Rachel. Oder Rochelle. Sie hatte ihn den ganzen Abend beobachtet, konnte hervorragend blasen und zerkratzte ihm den Rücken, als sie
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