Entfuehrt
Wahrheit ist nun mal nicht immer das Richtige«, erinnerte er sie.
»Die Wahrheit ist das Einzige, was ich je besessen habe.«
Jake nickte der Kellnerin zu. Er kannte sie, und sie ließ ihn und Isabelle aus dem großen Hauptraum in einen der kleineren, angrenzenden Räume des Diners durchgehen. Dort war es ruhiger, aber der Raum war groß genug, dass sie sich nicht unwohl fühlte.
Sie rutschte in die Nische und zog die Beine im Schneidersitz unter sich. Als er mit den Füßen gegen etwas Hartes stieß, merkte er, dass sie ihre Schuhe abgestreift hatte.
Sie trug noch immer den blauen OP-Kittel und hatte die Haare hochgesteckt. Falls sie Make-up aufgetragen hatte, sah er zumindest nichts davon. Auch mit den leichten Schatten unter den Augen, die von Schlafmangel zeugten, war sie die schönste Frau, der er je begegnet war.
Er beobachtete, wie ihre Hände die Speisekarte hielten. Ihre Finger glitten über die Plastikkanten, als suchten sie ständig nach etwas … Gefühl.
Das hatte sie in der Nacht ihrer Rettung auch mit seinem Arm und seinem Oberschenkel gemacht. Ihr ganzer Körper hatte gezittert. Bis auf ihre Hände, die die ganze Zeit in Bewegung geblieben waren und mit denen sie über seinen Tarnanzug gestrichen hatte.
Die Hände einer Chirurgin. Hände, die verschwendet waren, wenn sie nur Motrin austeilten und Patienten untersuchten.
Hände, die er auf seinem Körper spüren wollte. Sofort.
Himmel, er musste sich wirklich zusammenreißen.
Als sie vorhin aus dem Auto gestiegen waren, hatte er bemerkt, dass sie ihre Umgebung nicht im Blick behielt. Er wollte sie in Zukunft hin und wieder darauf aufmerksam machen, ihre Umgebung bewusster wahrzunehmen.
Er war sich ihr nur allzu sehr bewusst.
»Also, wann werde ich deine Brüder kennenlernen? Und wen von den beiden kann ich für deinen Fahrstil verantwortlich machen?«, fragte sie, nachdem sie bestellt und ein paar Songs ausgewählt hatten, die dann von der Mini-Jukebox auf ihrem Tisch gespielt wurden.
Er konnte es ihr genauso gut jetzt erklären. »Du hast die beiden schon kennengelernt. Devane und Waldron.«
»Ach ja. Ich erinnere mich«, erwiderte sie leise. »Ich kenne sie aus Afrika.«
»Wir sind keine leiblichen Brüder. Chris’ Vater hat mich nach dem Tod meines Stiefvaters bei sich aufgenommen. Nick ist zwei Wochen später bei uns eingezogen. Ich bin mir nicht mal sicher, ob seine Adoption legal war. Aber damals hat niemand Einspruch erhoben.«
»Darum konntet ihr drei im selben Team arbeiten.«
»Ja. Obwohl es eher zufällig so gekommen ist und auch erst seit Kurzem. Chris ist gerade vor ein paar Monaten aus Coronado zurück.«
Er erzählte ihr nicht, dass Nick aus dem geheimnisvollen Team 6, das auch als DevGru bekannt war, hierherverlegt worden war, ehe Team 6 aufgelöst wurde. Das waren schließlich Dienstgeheimnisse. »Sie sind meine Brüder, aber für mich sind sie auch meine besten Freunde.«
»Mein Vater war Onkel Cals bester Freund. Sie waren zusammen auf einer Mission, und er hat Onkel Cal das Leben gerettet. Ich bin sicher, der Admiral hat dir die Geschichte mal erzählt.«
Sie schwiegen, während die Kellnerin die vollbeladenen Teller vor ihnen abstellte, Jake zuzwinkerte und wieder ging. Wenn Isabelle das Zwinkern bemerkt hatte, erwähnte sie es nicht, sondern stürzte sich hungrig auf ihr Essen.
»Der Admiral spricht nie über seine Missionen. Es sei denn, er will uns durch diese Schilderungen einen besonderen Rat geben.« Er biss von seinem Clubsandwich ab. Erst jetzt merkte er, dass er seit ziemlich langer Zeit nichts Ordentliches mehr gegessen hatte.
Sie schluckte einen großen Bissen ihres Sandwiches herunter, ehe sie weitersprach. »Mein Vater war mit Onkel Cal auf einer Mission. Onkel Cal war damals noch bei den UDT, also der Vorläuferorganisation der Navy SEALs. Mein Vater hat für den Geheimdienst der Navy gearbeitet. Es gab da noch einen anderen UDT-Mann, mit dem die beiden befreundet waren. Er hieß Kevin. Ich erinnere mich an ihn, weil er oft zu uns nach Hause kam. Ich habe ziemlich lange gebraucht, um zu begreifen, wie ein Mann, der mir Aufkleber und Süßigkeiten mitbrachte, wenn er zu Besuch kam, seine Freunde verraten konnte.«
»Kevin hat deinen Vater getötet?«
Sie nickte. »Onkel Cal fand heraus, dass Kevin Waffen schmuggelte. Er stand kurz davor aufzufliegen, und er wollte die Schuld meinem Vater und Onkel Cal in die Schuhe schieben. Wahrscheinlich hat er versucht, beide zu töten, damit sie nicht
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