Entfuehrt
die Bettdecke kroch, erlaubte sie sich zum ersten Mal, an die Zeit zurückzudenken.
Die Gruppe der Ärzte ohne Grenzen war zerrissen, als sie dort ankam. Normalerweise herrschte eine gute Stimmung, und man war sich sehr nah. Aber es hatte kurz zuvor eine größere Auseinandersetzung gegeben, weil eine zerbrochene Liebe die Gruppe in zwei gleich große Lager gespalten hatte.
Es war dieses Mal eine größere Gruppe. Die Klinik war zwei Jahre zuvor eingerichtet worden. Sie arbeitete lieber in einem kleinen, vertrauten Team, aber diese Klinik rühmte sich der guten medizinischen Versorgung mit über fünfzig Mitarbeitern. Rafe gehörte dazu.
Ein typischer Tag in der Klinik begann damit, dass Irma Isabelle an der Tür zum großen Krankensaal begrüßte. Rafe trieb sich meist draußen herum, brachte ein Auto in Ordnung, reparierte eine Maschine oder übermittelte mit dem alten Funkgerät Nachrichten und versuchte, Nachschub zu besorgen. Darin war er übrigens ein Experte – er bekam immer das, was die Klinik brauchte.
Einige Afrikaner fingen an, ihn den Wunderwirker zu nennen.
Sie hatte den Eindruck, viele Afrikaner, die in der Klinik arbeiteten, wussten ziemlich genau, wer Rafe war. Die Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen dagegen waren völlig ahnungslos.
Einige von ihnen flüsterten kivuli hinter ihm her, wenn er den Raum verließ.
»Was heißt das?«, fragte sie Sarah, die ihr daraufhin erzählte, die Afrikaner würden ihn Schatten nennen.
Aber für Isabelle war er ein Mann aus Fleisch und Blut. Heute, Monate später, verfolgte er sie schlimmer, als es ein Geist oder Schatten vermochte.
In den ersten acht Wochen war Rafe nett zu ihr gewesen. Sie hatte sich einsam gefühlt. Zum ersten Mal in ihrem Leben hieß sie ihre vertraute Einsamkeit nicht willkommen, sondern versuchte, davor zu fliehen. Sie war noch verwirrt wegen der Verlobung, die sie wie ein Bleigewicht niederdrückte. Zudem fühlte sie sich zerrissen, weil ihre Mutter und ihr Verlobter ihre Karrierepläne missbilligten. Es war ein Gefühl, als müsste sie ertrinken.
Rafe gefiel offenbar, was sie mit ihrer Arbeit bewirkte. Er war stark und tüchtig, weshalb sie sich bei ihm sicher fühlte. Das war schließlich sein Job – er sollte sie beschützen.
Sie war erst seit einer Woche in Djibouti, als zum ersten Mal etwas passierte.
Die Hitze war unerträglich, auch dann, wenn die Sonne längst untergegangen war. Sie hatte sich einen Eimer Wasser über den Kopf gekippt, ohne sich auszuziehen. Sie trug ein dünnes weißes T-Shirt, und das Wasser drang durch den Stoff bis auf ihre Haut. Ihr BH war nun darunter erkennbar und ebenfalls durchsichtig. Sie wusste, in nur zehn Minuten würde sie wieder trocken sein, und sie trat durch den hinteren Eingang aus ihrem Zelt, weil sie einen Windhauch spüren wollte.
Sie lief direkt in Rafes Arme. Er stand nur wenige Schritte von ihr entfernt und starrte sie an. Starrte auf ihr Gesicht und ihre Brüste. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie sich umdrehen und zurück ins Zelt gehen sollte. Aber sie blieb stehen. Und als er auf sie zukam und sie diesen Hunger in seinen Augen erkannte, zog sie das T-Shirt über den Kopf und lud ihn in ihr Zelt ein.
Nach dieser Nacht hatte er nicht mehr vor ihrem Zelt geschlafen, sondern neben ihr auf der Pritsche. Er schlief weniger als sie und schien immer auf der Hut zu sein. Er erzählte ihr von seiner Zeit beim Militär, von den Taten, die er im Namen der Regierung vollbracht hatte.
Manchmal ertappte sie ihn dabei, wie er sie anblickte. Dann lag auf seinem sonst so undurchdringlichen Gesicht ein Ausdruck von Überraschung und Verärgerung.
»Ich bin ein gefährlicher Mann, der gefährliche Jobs an gefährlichen Orten erledigt«, erzählte er ihr. »Aber im Moment bist du für mich die größte Bedrohung.«
Er hatte ihre Hand genommen und sie auf sein Herz gedrückt.
Es war ihm zu ernst, und sie musste ohnehin mit sich ringen, weil sie Daniel betrog. Mehr als alles andere zwang ihre Affäre mit Rafe sie, endlich zu handeln. Sie wollte die Beziehung mit Daniel beenden, sobald sie wieder in Washington war.
Rafe war nicht besonders glücklich, als sie der Affäre ein Ende machte. Das verstehst du nicht … du hast mich zum Besseren verändert, und ich will nicht wieder der sein, der ich war. Du bist meine Retterin.
Ihr war die Vorstellung unangenehm, sie könnte für jemanden die Retterin sein. Sie begann, ihn zu meiden.
Drei Wochen später, nachdem er immer wieder vergebens
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