Entfuehrung nach Gretna Green
nicht sogar Tausende von Bewunderern“, widersprach Miss Platt verträumt.
Ihre Vermutung brachte Venetia zum Lachen. „Ich hatte einige wenige, aber ich fürchte, ich bin nicht gerade die Art Frau, die in der vornehmen Gesellschaft unglaubliche Triumphe feiert.“ Sie sah an ihrem üppigen Körper herab. „So sehr ich mich auch bemühe, schaffe ich es nicht, mir die süßen Törtchen abzugewöhnen. Ich bin nicht willensstark genug für die augenblickliche Mode.“
„Da muss ich aber ernsthaft protestieren“, erklärte Miss Platt entschieden.
„Das ist sehr nett von Ihnen, aber ich beklage mich nicht. Wenn ich mich nicht wohlfühlen würde, krank wäre oder mich nur unter Schwierigkeiten bewegen könnte, hätte ich einen Grund, etwas zu ändern. So aber bin ich eben die, die ich bin, und ich bin glücklich, so wie ich bin.“
Zweifelnd betrachtete Miss Platt Venetia und schaute dann an ihrem eigenen Körper hinab. „Ich wünschte, ich hätte Ihre Rundungen. Mich beachtet nie jemand, weil ich so eine flache Brust habe.“
„Das wäre mit dem richtigen Kleid leicht zu verbergen“, stellte Venetia fest. „Tatsächlich sollten Sie ..."
Die Tür öffnete sich, und Miss Higganbotham trat ins Zimmer. Sie hatte ihre goldenen Locken mit Saphirnadeln hochgesteckt und trug einen mit französischer Spitze verzierten Morgenmantel.
Nach einem Schritt blieb sie stehen und hob mit dramatischer Geste die Hand, um ihre Augen zu beschatten, als wäre das Licht im Raum zu grell.
Venetia fühlte sich versucht, ungeduldig mit den Augen zu rollen, auch weil sie sich sicher war, dass ihre Mutter einem solchen Auftritt bewundernd Applaus gespendet hätte.
Miss Platt hingegen rief besorgt: „Miss Higganbotham! Was ist passiert? Stimmt etwas mit Ihren Augen nicht?“
Das junge Mädchen ließ den Arm sinken und schaute sich im Zimmer um „Oh. Nur Sie beide sind hier. Ich dachte, mein Vater und Lord MacLean wären auch da.“
„Lord MacLean?“ In Miss Platts Augen funkelte Neugier. „Ich frage mich, warum Sie ausgerechnet ihn sehen möchten.“
Miss Higganbotham zuckte die Achseln, konnte aber gleichzeitig ein leises Lächeln nicht unterdrücken. „Natürlich bin ich meinem Henry sehr zugetan, aber ..." Ihr Lächeln wurde breiter.
„Meine liebe Miss Higganbotham“, meinte Miss Platt kichernd. „Ich weiß genau, was Sie meinen. Wenn es den lieben Mr. West nicht gäbe, wäre ich wohl auch verliebt in Lord MacLean!“
Mit einem tiefen Seufzer hob Miss Higganbotham ihren seelenvollen Blick. „Er ist fast schön zu nennen, trotz seiner Narbe.“ Ein zarter Schauer durchlief ihren Körper. „Ich habe vor, ihn heute beim Abendessen danach zu fragen. Ob er wohl bei einem Duell verletzt wurde? Falls ja, ist er ein sehr mutiger Mann.“
Ein seltsames Gefühl machte sich in Venetia breit. Was wollte dieses Kind von Gregor? Nie und nimmer würde er auch nur das leiseste Interesse an jemandem wie ihr haben, und je eher das kleine Biest das merkte, umso besser!
Gewaltsam verdrängte Venetia ihre unfreundlichen Gedanken. Langsam, aber sicher wurde sie verrückt. Erst hatte sie Gregor erlaubt, sie zu küssen und diesen Kuss auch noch genossen, und nun entwickelte sie zu allem Überfluss zusätzlich ein hässliches Gefühl, welches Eifersucht ziemlich nahekam. Als Nächstes würde sie auf jeden herumliegenden Papierfetzen „Lady MacLean“ kritzeln und auf der Rückseite von alten Schnittmustern Hochzeitseinladungen entwerfen!
Völlig ahnungslos, welchen Tumult sie in Venetias Brust entfacht hatte, schloss Miss Higganbotham die Tür und lehnte sich dagegen, als wollte sie einer bösen Macht den Eintritt verwehren. „Ich bin so froh, dass ich Sie beide hier angetroffen habe! Wissen Sie, wo mein Vater sein könnte?“
„Er ist im Stall“, erwiderte Venetia. „Ihr Stallbursche glaubt, dass sich eines Ihrer Zugpferde nicht wie befürchtet das Bein gebrochen hat, sondern dass es nur verstaucht ist.“
„Warum sorgt er sich um das Pferd, wenn seine eigene Tochter dahinsiecht?“ Gegenüber von Venetia und Miss Platt ließ Miss Higganbotham sich auf einem Stuhl nieder.
Miss Platt streckte den Arm aus und tätschelte die Hand des Mädchens. „Sie wirken nicht, als würden Sie dahinsiechen. Vielmehr hat Mrs. Treadwell erzählt, Sie hätten alle Teller leer gegessen, die sie Ihnen aufs Zimmer gebracht hat, und sogar nach mehr gefragt.“
„Was versteht sie denn schon von Schmerz und Leid? Oder irgendjemand sonst hier
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