Enthüllung
damit nur sagen, daß Sie wütend sind und die Ansicht vertreten, die Firma schulde Ihnen etwas, aber das Gericht wird es nicht so sehen. Meiner Erfahrung nach schwingt bei Klagen wegen sexueller Belästigung immer so etwas mit. Die Leute ziehen wütend und gekränkt vor Gericht und glauben, sie hätten Rechte, die sie in Wirklichkeit einfach nicht haben.«
Sanders seufzte auf. »Wäre das anders, wenn ich eine Frau wäre?«
»Im Prinzip nicht. Selbst in den eindeutigsten Situationen – in den extremsten und empörendsten Situationen – läßt sich sexuelle Belästigung notorisch schwer beweisen. Die meisten Fälle spielen sich so ab wie Ihrer: hinter verschlossenen Türen und ohne Zeugen. Dann steht Aussage gegen Aussage. Unter solchen Umständen, das heißt, wenn keine eindeutige bestät i gende Zeugenaussage vorliegt, kommt es häufig zu einem Vorurteil gegen den Mann.«
»Hmm.«
»Dennoch geht ein Viertel aller Klagen wegen sexueller Belästigung von Männern aus. Die meisten dieser Klagen werden gegen männliche Chefs erhoben. Aber immerhin ein Fünftel davon wird gegen Frauen vorgebracht. Und diese Zahl nimmt parallel zu der steigenden Anzahl weiblicher Chefs ständig zu.«
»Das wußte ich nicht.«
»Es wird nicht viel darüber gesprochen«, erklärte sie und warf ihm über ihre Brillengläser hinweg einen Blick zu. »Aber es kommt vor. Und meiner Meinung nach war das auch nicht anders zu erwarten.«
»Warum?«
»Sexuelle Belästigung hat immer etwas mit Macht zu tun, mit der unzulässigen Machtausübung durch eine vorgesetzte Person an einer untergebenen Person. Ich weiß, daß es einen modischen Standpunkt gibt, der besagt, Frauen unterschieden sich grun d legend von Männern und würden eine oder einen Untergebenen niemals belästigen. Aber ich kann aus eigener Erfahrung sagen, daß ich in dieser Hinsicht schon alles erlebt habe. Ich habe alles gesehen und gehört, was Sie sich nur vorstellen können – und vieles, das Sie mir nicht glauben würden, wenn ich es Ihnen erzählte. Dadurch habe ich eine andere Perspektive gewonnen. Ich persönlich kümmere mich nicht sehr um die Theorie, ich muß mich mit den Tatsachen beschäftigen. Und aufgrund der Tatsachen kann ich keinen großen Unterschied zwischen dem Verhalten von Männern und dem von Frauen erkennen. Z u mindest keinen Unterschied, auf den man sich wirklich verla s sen könnte.«
»Dann glauben Sie mir also?«
»Ob ich Ihnen glaube, steht hier nicht zur Debatte. Wichtig ist jetzt die Frage, ob Sie im Fall eines Prozesses realistische Erfolgsaussichten haben, und des weiteren, was Sie unter den gegebenen Umständen tun sollten. Ich kann Ihnen nur sagen, daß ich das alles schon oft gehört habe. Sie sind nicht der erste Mann, der mich gebeten hat, ihn vor Gericht zu vertreten, verstehen Sie.«
»Was raten Sie mir?«
»Ich kann Ihnen keinen Rat geben«, sagte Fernandez schroff. »Die Entscheidung, vor der Sie jetzt stehen, ist viel zu schwi e rig. Ich kann Ihnen nur die Situation darlegen.« Sie drückte auf die Taste der Sprechanlage. »Bob, sagen Sie bitte Richard und Eileen, sie sollen den Wagen vorfahren. Ich treffe mich mit ihnen vor dem Haus.« Dann wandte sie sich wieder Sanders zu.
»Ich gebe Ihnen noch einmal einen kurzen Überblick über die Sachlage.« Sie zählte jeden Punkt einzeln an den Fingern ab. »Erstens: Sie behaupten, in eine intime Situation mit einer jüngeren, sehr attraktiven Frau geraten zu sein, sie jedoch zurückgewiesen zu haben. Aufgrund des Fehlens von Zeugen beziehungsweise einer bestätigenden Zeugenaussage wird diese Geschichte den Geschworenen nicht leicht zu verkaufen sein.
Zweitens: Wenn Sie einen Prozeß anstrengen, wird Ihre Firma Sie rausschmeißen. Bis zur Prozeßeröffnung wird es drei Jahre dauern. Sie werden sich überlegen müssen, wie Sie sich in dieser Zeit über Wasser halten und wie Sie die Kosten für Ihr Haus und andere Ausgaben begleichen wollen. Wir könnten ein Erfolg s honorar miteinander vereinbaren, aber für alle direkten durch den Prozeß entstehenden Kosten müssen Sie aufkommen, und die werden sich auf mindestens 100 000 Dollar belaufen. Ich weiß nicht, ob Sie eine Hypothek auf Ihr Haus aufnehmen wollen oder was auch immer. Auf jeden Fall müßten Sie sich darum kümmern.
Drittens: Durch eine Klage wird alles an die Öffentlichkeit gezerrt. Es wird jahrelang, noch bevor der Prozeß überhaupt eröffnet ist, in der Zeitung stehen und in den Abendnachrichten gemeldet werden.
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