Enthüllung
Ich kann Ihnen nicht annähernd realitätsg e treu beschreiben, was für eine zermürbende Erfahrung das ist – für Sie wie für Ihre Frau und für Ihre Kinder. Viele Familien überleben nicht einmal die Zeit vor der Prozeßeröffnung intakt. Es kommt zu Scheidungen, zu Suiziden, zu Erkrankungen. Es ist sehr, sehr schwer.
Viertens: Aufgrund des Angebots einer Versetzung ist mir nicht klar, was wir als Schaden anführen wollen. Die Firma wird behaupten, daß Sie nichts vorzubringen haben, und wir müssen das Gegenteil beweisen. Aber selbst bei einem deutlichen Sieg könnte es durchaus sein, daß Sie nach Abzug aller Kosten und Honorare gerade mal mit ein paar 100 000 Dollar aus der Sache herauskommen, abgesehen von den drei Jahren Ihres Lebens, die Sie der Sache geopfert haben. Und selbstverständlich ist es immer möglich, daß die Firma in Revision geht, was eine weitere Verzögerung der Zahlung mit sich brächte.
Fünftens: Wenn Sie vor Gericht gehen, werden Sie danach nie mehr in Ihrer Branche arbeiten. Ich weiß, daß es eigentlich nicht so sein darf, aber in der Praxis sieht es so aus, daß Sie nie wieder einen Job bekommen. Das ist nun mal so. Wenn Sie 55 wären, könnte man darüber reden. Aber Sie sind 41, und ich weiß nicht, ob Sie zu diesem Zeitpunkt in Ihrem Leben eine solche En t scheidung treffen wollen.«
»Mein Gott!« Er ließ sich in seinen Stuhl zurückfallen.
»Es tut mir leid, aber das sind nun mal die Fakten, die ein Rechtsstreit mit sich bringt.«
»Aber das ist total ungerecht!«
Fernandez zog ihren Regenmantel an. »Die Rechtsprechung hat leider nichts mit Gerechtigkeit zu tun, Mr. Sanders. Sie stellt nur eine Methode dar, Streit beizulegen. Als System betrachtet, ist das Ganze oberfaul. Es ist geradezu grauenhaft. Aber es ist das einzige, was wir haben.« Sie ließ die Verschlüsse an ihrem Aktenkoffer zuschnappen und hielt Sanders die ausgestreckte Hand hin. »Tut mir leid, Mr. Sanders. Ich wünschte, es wäre anders. Sie können mich jederzeit anrufen, falls Sie weitere Fragen an mich haben.«
Sie eilte aus dem Büro und ließ ihn dort sitzen. Nach einer Weile kam die Sekretärin herein. »Kann ich etwas für Sie tun?«
»Nein«, sagte Sanders, langsam den Kopfschüttelnd. »Nein, ich wollte gerade gehen.«
W ährend der Fahrt zum Gericht erzählte Louise Fernandez den beiden mit ihr im Wagen sitzenden Juniorpartnern, einem Mann und einer Frau, Sanders’ Geschichte. »Das nehmen Sie ihm doch nicht ab, oder?« sagte die junge Anwältin.
»Wer weiß?« erwiderte Fernandez. »Es geschah hinter ve r schlossenen Türen. Man kann nie wissen.«
Die junge Frau schüttelte den Kopf. »Ich glaube einfach nicht, daß eine Frau so etwas tut, so aggressiv ist.«
»Warum denn nicht?« sagte Fernandez. »Nehmen wir mal an, es handelte sich in diesem Fall nicht um sexuelle Belästigung, sondern um eine stillschweigende Übereinkunft zwischen einem Mann und einer Frau. Der Mann behauptet, hinter verschlo s senen Türen sei ihm ein großer Bonus versprochen worden, was die Frau abstreitet. Würden Sie annehmen, daß der Mann lügt, weil eine Frau sich nicht so verhält?«
»In diesem Fall nicht, nein.«
»In einer solchen Situation würden Sie alles für möglich halten?«
»Aber hier geht es nicht um irgendeinen Vertrag«, gab die Frau zu bedenken. »Hier geht es um sexuelles Verhalten.«
»Sie glauben also, daß Frauen in ihren vertraglichen Verei n barungen unberechenbar sind, sich in ihren sexuellen Verei n barungen jedoch stereotyp verhalten?«
»Ich weiß nicht, ob ich das Wort stereotyp benutzen würde …«
»Sie haben eben gesagt, Sie glauben nicht, daß eine Frau in sexueller Hinsicht aggressiv wird. Ist das kein Stereotyp?«
»Nein, überhaupt nicht. Es ist kein Stereotyp, weil es die Wahrheit ist. Wenn es um Sex geht, sind Frauen anders als Männer.«
»Und Schwarze haben Rhythmus im Blut«, sagte Fernandez. »Asiaten sind arbeitswütig, und Latinos beziehen nie einen klaren Standpunkt. Sind nicht auch diese Aussagen wahr?«
»Aber hier geht es doch um etwas anderes. Ich meine, es gibt Studien darüber. Männer und Frauen reden nicht mal in de r selben Sprache miteinander.«
»Ach, Sie meinen zum Beispiel diese Studien, in denen au f gezeigt wird, daß Frauen schlechte Geschäftsleute sind und nicht strategisch denken können?«
»Nein. Diese Studien sind falsch.«
»Aha. Diese Studien sind also falsch. Aber die Studien über sexuelle Differenzen sind richtig,
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