Entmündigt
was?« fragte Hartung erschrocken.
»An alles haben wir gedacht«, sagte Budde leise. »Nur an das Wichtigste nicht …«
»Woran denn nicht?«
»An das Geld! Wer soll das alles bezahlen?«
»Nicht verzagen – Hartung fragen!« sagte Dr. Hartung fröhlich und klopfte seinem Freund auf die Schulter. »Mein Sinn für Realitäten hat mich nicht verlassen. Die Finanzierung ist gesichert!«
»Und wie …?«
»Onkel Ewald Peltzner wird berappen …«
Diese Antwort verschlug Budde die Sprache. Er sah aus wie ein dummer Junge.
Professor v. Maggfeldt hatte sich überzeugt, daß der Dauerschlaf eine allgemeine physische Besserung bei Gisela hervorgerufen hatte, wenn er auch keinerlei Wirkung auf die Wahnsyndrome der Patientin bei einem Testgespräch über Ewald Peltzner festgestellt hatte. Er ordnete deshalb den Übergang zum Elektroschock an.
Im übrigen begann der Fall Peltzner ein Routinefall zu werden, den er Dr. Pade ganz überließ. Die Verlegung Giselas machte deshalb keine Schwierigkeiten. An Maggfeldt kamen größere Probleme heran als die Sorge um eine der vielen Wahnpatientinnen, in deren Gruppe er Gisela endgültig einstufte. Die Häufung der Vorfälle in der letzten Zeit und die Angriffe der Presse gegen die Psychiatrie beanspruchten ihn ohnehin bis an die Grenze seiner Nervenkraft. Was er während seiner langen Praxis nicht nötig gehabt hatte, wurde jetzt existenzwichtig. Er mußte seinen Beruf in der Öffentlichkeit verteidigen.
Oberarzt Dr. Pade ließ im Pavillon 23 ein Zimmer zur Mauer hin räumen und für Gisela Peltzner herrichten. Stationsarzt und Schwestern wurden unterrichtet, daß Gisela nicht eine Defekt-Schizophrene sei, sondern nur hier untergebracht wurde, um bestimmte Heilversuche mit ihr anzustellen.
In der Anstalt war man mitten in den Weihnachtsvorbereitungen. Im Mattenflechtsaal und in der Gärtnerei wurden Girlanden, Adventskränze und große, grüne Tannenfächer gebunden und silberne und goldene Bänder hineingeflochten und in den Zimmern, Fluren, den Dielen der Pavillons, den Speisesälen, dem Kinosaal, in der Kegelbahn und dem großen Festsaal angebracht.
In der Anstaltsbäckerei arbeitete man in zwei Schichten an der Herstellung von Plätzchen und Lebkuchen, Zimtsternen und Zuckertalern, Christstollen und Printen, Spekulatius und Pflastersteinen. Im Kinosaal übte der Anstaltschor Weihnachtslieder unter der Leitung eines jungen Vikars. Wer den dreißig Mann starken Chor mit geschlossenen Augen hörte, war entzückt über die kräftigen, schönen Stimmen. Nur wenn man die Augen öffnete und die Sänger ansah, vermischte sich mit dem Gefühl der Andacht das Prickeln eines Schauers.
Auf der Kegelbahn studierte die Oberschwester mit Hilfe von drei Pflegern das Spiel von der Geburt Christi und dem Zug der Heiligen Drei Könige zum Stall von Bethlehem ein. Man probte mit fünffacher Besetzung, denn niemand konnte ahnen, wann und bei wem von den Spielern wieder ein Schub des akuten Wahnsinns ausbrach. Es konnte sein, daß es mitten im Spiel geschah. Dann mußte der Darsteller des Josef sofort eine Spritze geben, die er unter seinem Mantel in einem Arzneikasten bei sich trug. Denn der Josef war der Krankenpfleger von Block 1.
Bevor Maggfeldt seinen Kampf gegen die Öffentlichkeit aufnahm, hatte er noch die Besetzungsliste zusammen mit seinen Ärzten durchgesprochen. Er hatte dabei wieder ein Experiment mit eingebaut, das typisch für ihn war und bei den Ärzten heimliche Kritik, wenn auch keinen Protest auslöste: Zur Darstellerin der Maria bestimmte Maggfeldt die religiös Wahnsinnige, Monika Durrmar.
»Sie bildet sich ein, die Braut Christi zu sein«, sagte Maggfeldt. »Nun soll sie die Mutter Christi werden … geht sie darauf ein, haben wir einen großen Schritt getan! Einen Mutterkomplex heilen wir leichter als eine Sexualneurose … Man muß es eben versuchen.«
Als Oberarzt Dr. Pade mit einem langen, hellblauen Gewand zur Durrmar ins Zimmer kam, starrte sie ihn mit weitaufgerissenen Augen an.
»Was … was soll das?« fragte sie. »Was wollt ihr von mir?«
»Du hast dich geirrt«, sagte Pade. »Zieh dieses Gewand an … wir haben festgestellt, daß du nicht die Braut Christi bist, sondern seine Mutter. Und in drei Wochen wird er geboren …«
»Seine Mutter …«, stammelte sie. »Ich bin seine Mutter …«
Dr. Pade stand im Hintergrund neben der Stationsschwester. Sie hielt eine Megaphenspritze bereit.
»Wird nicht nötig sein«, sagte Pade mit einem Seitenblick auf
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