Entmündigt
sagte Ewald Peltzner hart. »Morgen schon!«
»Wie du meinst, Onkel.« Heinrich Fellgrub erhob sich. »Bei dir könnte der Teufel noch was lernen!«
Ewald Peltzners schallendes Lachen traf ihn wie ein Hieb. Mit wütendem Schwung schlug er die Tür hinter sich zu.
Drei Wochen später erschien Dr. Fritz Vrobel in der Villa Bruno Peltzners und bat darum, Fräulein Peltzner sprechen zu dürfen. Es war am Abend. Verwundert ließ Gisela den ihr unbekannten Dr. Vrobel zu sich bitten. In der Halle trank Ewald Peltzner schnell zwei große Cognacs.
»Hals- und Beinbruch, Doktor!« flüsterte er Dr. Vrobel an der Treppe zu.
»Wenn Sie wüßten …«, setzte Dr. Vrobel an.
»Quatschen Sie nicht … gehen Sie!« fauchte Ewald Peltzner. »Sie hatten doch auch keine Bedenken, meine Tochter zu verführen …«
Langsam und gebückt ging Dr. Vrobel die Treppe hinauf. Seine Arzttasche streifte fast die Stufen.
Gisela kam ihm lächelnd entgegen, als er nach kurzem Anklopfen in ihr großes Zimmer trat. Sie warf einen Blick auf die Tasche und sah Vrobel dann prüfend an.
»Sie sind Arzt?«
»Fritz Vrobel. Ja, gnädiges Fräulein. Ich bin im Außendienst des Gesundheitsamtes. Ich tue nur meine Pflicht.« Es war eine wohl einstudierte Rede, die Vrobel abrollen ließ. Sie strotzte von Unwahrheiten und Unmöglichkeiten, aber er vertraute darauf, daß Gisela Peltzner von den Aufgaben des Gesundheitsamtes keine Vorstellung hatte. »Uns liegt die Meldung vor, daß Sie einen Autounfall hatten mit einer schweren Commotio cerebri. Sie haben damals über sechs Wochen gelegen. Um Spätschäden vorzubeugen, sind wir den Versicherungen gegenüber verpflichtet, in größeren Zeitabständen Nachuntersuchungen vorzunehmen.«
Gisela hob die Schultern. »Wenn es sein muß …« Sie lächelte verbindlich. Dr. Vrobel atmete auf. Der unmögliche Gedanke mit dem Gesundheitsamt stammte von Ewald Peltzner. Er hatte sich dagegen gewehrt, aber Peltzner hatte gesagt: »Gesundheitsamt ist immer gut. Amt! – Darauf kommt es an! Wenn ein Deutscher etwas von Behörden hört, wird er immer zugänglich und fragt nicht! Warum sollte meine Nichte da eine Ausnahme machen?«
»Es geht ganz schnell«, sagte Dr. Vrobel und packte seine Tasche aus. Ein Schädelmeßzirkel, einige silberne Hämmerchen, eine Taschenlampe, ein Stirnspiegel.
Gisela setzte sich auf einen Stuhl. »Warum sind Sie mir nicht angemeldet worden?« fragte sie.
»Das bin ich. Dreimal haben wir angerufen. Aber Sie waren nie da. Da haben wir die Nachricht bei Ihrem Herrn Onkel hinterlassen.«
»Und der hat's vergessen.« Gisela strich sich das volle blonde Haar aus der Stirn. »Im übrigen habe ich keinerlei Beschwerden mehr, Herr Doktor.«
»Das ist schön. Kein Kopfdruck? Bei Wetterumschlag keine Kopfschmerzen? Schwindelanfälle? Schweres Einschlafen? Angstträume …?«
»Nichts!« Gisela lachte unbesorgt. Vrobel wagte nicht, sie anzusehen. Er beugte sich über seine Tasche und kramte in ihr herum, weil er einfach nicht die Kraft hatte, in das hübsche, offene Gesicht zu sehen, in diese strahlenden Augen, die voll Leben waren und voll unbekümmerter Jugend.
Dann gab er sich einen Ruck und trat hinter Gisela. Er setzte den Kopfmeßzirkel an und drückte mit den Fingerspitzen einzelne Kopfpartien ab … Die Schläfen, die Jochbeine, die Fontanellen, die oberen Nackenwirbel mit den Zentralnervensträngen.
Die Komödie einer eingehenden Untersuchung begann. Geduldig ließ Gisela sie über sich ergehen.
Am Ende bekam sie eine Injektion.
Dr. Vrobel zögerte, als er die Spritze aufgezogen hatte: Die Komödie war zu Ende, die Tragödie begann. Der Arzt Dr. Fritz Vrobel wurde Handlanger eines Verbrechens: Die zwei Kubikzentimeter wasserhelle Flüssigkeit, die er aufgezogen hatte, würde die Nerven Gisela Peltzners langsam blockieren. Einige Sensibilitätszentren des Gehirns würden abgeschwächt werden. Es war sogar möglich, daß eine Spontanreaktion entstand, ein manischer Ausbruch als Folge der Droge.
»Es sind noch immer einige Quellungen vorhanden«, sagte Dr. Vrobel. Seine Stimme war plötzlich heiser und tonlos. »Ich werde Ihnen eine Spritze zur Entquellung geben.«
»Traubenzucker?«
»Etwas Ähnliches …«
Dann war es vorbei. Vrobel packte hastig seine Instrumente ein, verabschiedete sich von Gisela mit einem Handkuß und verließ das Zimmer sehr schnell.
Unten, in der Halle, wartete die ganze Familie. Sogar Monique. Man hatte sie aus St. Tropez zurückgeholt. Anna Fellgrub saß
Weitere Kostenlose Bücher