Entmündigt
an zwei große Aufgaben … sie mußte für Ludwig sorgen, kochen, ihn waschen, seine langen Haare pflegen, mit ihm im Park Spazierengehen und ihn beschäftigen, und sie betreute Gisela, nahm sie mit zu den Spaziergängen mit Ludwig, stellte sie an den Herd, um sie abzulenken, oder bat sie, ihr zu helfen, den Hund zu baden.
Das alles ging gut, überraschend und erfreulich gut, bis zu jenem verhängnisvollen Nachmittag, an dem Klaus Budde aus seinem Zimmer ausbrach, um Gisela zu treffen. Bis zu jenem Augenblick, in dem der Bernhardiner Ludwig den ahnungslosen Budde ansprang, niederriß und ihm die Kopfhaut zerfetzte.
Während Professor v. Maggfeldt Dr. Budde operierte, lag Gisela in tiefer Ohnmacht auf ihrem Zimmer. Man hatte sie von Budde und dem Hund wegreißen müssen. Mit einem wilden Schrei hatte sie sich auf den Bernhardiner geworfen, hatte mit beiden Fäusten auf seinen Kopf getrommelt, hatte ihn getreten und sich immer wieder gegen ihn geworfen. Aber er senkte nur den breiten Kopf, als die Fausthiebe auf ihn herabprasselten, und er hob die Lefzen etwas hoch, als er getreten wurde. Dabei blieb er breit und mächtig über Budde stehen, die Zähne gefletscht, jederzeit bereit, die schwere Pfote abermals zu heben, abermals zuzuschlagen.
Drei Schwestern hatten Mühe, Gisela von dem Hund zu reißen. Sie hatte sich in sein langes Fell verkrallt und schrie … schrie … Dann, als man sie weggezerrt hatte, als Frau Paulis zitternd und zaghaft Ludwig am Halsband nahm und der große Hund mit einem fast traurigen Blick sein Opfer freigab und zur Seite trat, brach Gisela in den Armen der Schwestern zusammen. Zwei Pfleger trugen Dr. Budde in das große weiße Haus. Professor v. Maggfeldt eilte, mit fliegendem Kittel, durch den Vorbau der Gruppe entgegen. Ihm folgte Dr. Pade in Hose und Hemd … er hatte gerade duschen wollen.
»Sofort zum OP!« rief der Professor, als er den blutigen Kopf Buddes sah. Eiskaltes Erschrecken durchjagte ihn. Noch war in dem Blutschwall, der über Buddes Körper strömte, nicht zu sehen, wie die Verletzung war, ob eine Hirnarterie zerrissen war, ob eine Knochenverletzung vorlag.
Oberarzt Dr. Pade warf einen langen, prüfenden Blick auf Budde, dann einen kurzen auf den Bernhardiner, der an der Hand Frau Paulis' friedlich aus dem Rosengarten kam.
»Sofort erschießen!« rief er einem Pfleger zu.
»Nein!« schrie Frau Paulis schrill. »Ihr wollt mir wieder meinen Ludwig nehmen … meinen Ludwig …« Sie versuchte, den schweren Hund in ihre Arme zu heben und mit ihm wegzulaufen. Es gelang ihr nicht. Da kroch sie unter den Hund, umklammerte ihn von unten und schrie grell: »Nein, nein … laßt mir meinen Ludwig … ihr wollt mir meinen Ludwig nehmen …«
In ihr Gesicht trat wieder die Verzerrung des Wahns. Die Augäpfel quollen aus den Höhlen. Die Worte schäumten aus ihrem aufgerissenen Mund.
Maggfeldt sah seinen Oberarzt wütend an.
»Und so etwas nennt sich Nervenarzt!« brüllte er plötzlich los. Zum erstenmal hatte auch er seine überlegene Ruhe verloren. »Natürlich behält sie den Hund! Kein Haar wird ihm gekrümmt! Außerdem will ich in zehn Minuten wissen, wie dieser Herr Budde aus dem Zimmer gekommen ist und Fräulein Peltzner treffen konnte! Und nun sehen Sie zu, Pade, wie Sie Frau Paulis wieder zur Ruhe bringen!«
Er drehte sich auf dem Absatz um und lief den beiden Pflegern nach, die Klaus Budde in das Haus zum Operationssaal trugen.
Mit Gewalt mußte Dr. Pade Frau Paulis unter Ludwig wegzerren. Sie biß um sich, sie kratzte und spuckte. Aber sie tat es unbewußt, ihr Verstand hatte ausgesetzt, ihr Körper reagierte nach eigenen, unkontrollierbaren Gesetzen, ihre Augen waren hohl und ausdruckslos, wie gläserne Kugeln, in denen sich das Licht der Sonne bricht.
Erst als ihr Dr. Pade die Hundeleine in die kratzenden Finger drückte, wurde sie ruhig. Wie eine Nachtwandlerin ließ sie sich davon führen, Ludwig an ihrer Seite. In ihrer neuen Wohnung erhielt sie ihre Spritze zur Ruhigstellung, eine Pflegerin zog sie aus und legte sie ins Bett. Kaum lag sie, wirkte das Neurolepticum, sie streckte sich und schlief sofort ein.
Ludwig saß neben ihrem Bett. Er hatte den Kopf auf die Matratze gelegt und schloß die Augen. Als Dr. Pade noch einmal ans Bett treten wollte, um zu sehen, ob Frau Paulis auch schlief, knurrte er leise und gefährlich. Da verließ Dr. Pade wortlos das Zimmer. Eine Schwester blieb als Wache zurück in der kleinen Küche.
»Wenn sie wieder unruhig wird
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