Entmündigt
Taschentuch und leg es drauf!« sagte Fellgrub. »Du kannst mich verunglimpfen … aber Mutter laß in Ruhe!«
Wortlos gehorchte Ewald Peltzner. Fellgrub fuhr wieder an … sie machten einen Umweg vom Flugplatz und fuhren durch weniger belebte Straßen zu Heinrichs Wohnung.
Dort säuberte sich Peltzner im Bad, ging stumm an seinem Neffen vorbei ins Schlafzimmer und legte sich ins Bett. Erst als er lag, allein, mit schmerzendem Nasenbein, an die Stuckdecke starrend, über die ab und zu der Widerschein eines auf der Straße vorbeifahrenden Autos huschte, entlud sich in ihm der ganze aufgestaute Groll. Er ballte die Fäuste, schlug auf die Bettdecke und knirschte in wütender Ohnmacht mit den Zähnen.
Nebenan, im Wohnzimmer, saß Heinrich Fellgrub am Fenster und blickte abwesend auf die nächtliche Straße hinunter. Er hatte kein Licht gemacht. Wie ein kleiner, ausgesetzter Junge kam er sich vor.
Was Ewald Peltzner von seiner Mutter, von dem Butler und ihrem Leben angedeutet hatte, glaubte er. Sein Onkel hatte die Wahrheit gesagt. Und er schämte sich jetzt seiner Mutter. Bis zum heutigen Tage war er ihr immer mit Achtung begegnet. Er kannte ihre Fehler, ihre Geldgier, ihre Sucht, die große Dame zu spielen und im Leben endlich nachzuholen, was sie an der Seite ihres Mannes nur erträumen oder in Romanen lesen konnte. Immer hatte er diese menschlichen Schwächen zu verstehen versucht, eben weil es seine Mutter war. Nun hatte sie ihr Bild in ihm zerstört. Der Sohn lernte die Mutter verachten. Es war ein so neues Gefühl, daß es ihn körperlich schmerzte.
Ein Ruf schreckte ihn auf. Er kam von Ewald Peltzner im Schlafzimmer. Heinrich Fellgrub stand auf und ging zur Tür. Sein Onkel saß im Bett, das Taschentuch noch vor der Nase.
»Du fliegst morgen nach Deutschland zurück!« sagte er. »Ich bleibe, bis ich diesen Budde gesprochen habe. Ich nehme an, er wird sich hier bald wieder blicken lassen.«
»Bestimmt.«
»Also pack die Koffer, das Nötigste nur … das andere schicke ich dir nach!«
»Ich danke dir, Onkel.« Fellgrub biß sich auf die Unterlippe. »Und verzeih mir … Ich kann es nicht ertragen, wenn man Mutter …«
Peltzner legte sich zurück und drehte Fellgrub den Rücken zu. Leise schloß dieser die Tür und stand mit gesenktem Kopf im dunklen Zimmer.
Nach Hause, dachte er. Habe ich noch ein Zuhause? Ein fremder Mann in Butleruniform wird der Hausherr sein.
Heinrich Fellgrub ballte die Fäuste. Er wußte plötzlich ganz klar, was er in Deutschland tun würde … schon in der ersten Stunde, die er im Hause sein würde …
Der rätselhafte Nervenschock Gisela Peltzners klang nur langsam ab. Professor v. Maggfeldt und Oberarzt Dr. Pade hatten das gesamte Personal des Pavillons verhört. Weder Schwestern noch Pflegerinnen konnten sich den Zusammenbruch erklären. Keinerlei Aufregung war an Gisela herangetragen worden, im Gegenteil, sie war in der letzten Zeit sehr fröhlich gewesen, hatte Spaziergänge gemacht, sich mit den Heizungsmonteuren unterhalten … und plötzlich klappte sie zusammen, in einer so schweren Form, daß nur starke Kreislaufmittel und Herzstärkungsinjektionen das Schlimmste abwenden konnten.
Sie war sofort wieder in ein Einzelzimmer verlegt worden, weg von ihren beiden Pavillongenossinnen, der religiös wahnsinnigen Monika Durrmar und der Zwangsneurotikerin Else Pulaczek. Es war sowieso unmöglich gewesen, sie zusammen zu lassen. Else war nicht mehr zu bewegen, in einem Zimmer zu bleiben, in dem jemand so viel Bazillen hatte, daß er ohnmächtig wurde. »Auf ihrem Bett wimmeln sie!« schrie die Pulaczek, als Oberarzt Dr. Pade den Abtransport Giselas überwachte. Die Kranke hockte zwischen Schrank und Wand, hatte zwei Bettücher über ihren Kopf gezogen und hielt einen nassen Lappen vor den Mund gepreßt. Alle, die sie hervorziehen wollten, scheuchte sie durch ihr Kreischen und Heulen zurück. »Ihr wollt mich umbringen!« schrie sie grell. »Mit Bazillen wollt ihr mich heimlich töten! Hilfe!«
Der Professor löste das Problem auf seine ruhige, einfache Weise. Er ließ sich eine große Autoreifenpumpe geben, stellte sie ins Zimmer und begann Luft in den Raum zu pumpen. Dabei drehte er den Gummischlauch in alle Richtungen und ließ die Luft kräftig durch das Mundstück zischen.
Neugierig steckte Else Pulaczek den Kopf unter den Tüchern hervor. Sie starrte auf den Professor, wie er – einen Mundschutz vor dem Gesicht – kräftig pumpte und mit dem Schlauch unter die
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