Entrissen
Täter hatte dort nicht Halt gemacht.
»Die Kehle wurde durchgeschnitten«, stellte Phil fest.
»Nicht bloß die Kehle«, sagte Anni. »Er hat ihr fast den Kopf abgetrennt.«
Der Schnitt ging quer durch ihren Hals. Marina konnte weiße Wirbel zwischen dem blutigen Fleisch glänzen sehen.
»Vielleicht hat sie angefangen zu schreien«, mutmaßte Anni. »Er musste dafür sorgen, dass sie still war. Deswegen auch das viele Blut in der Eingangshalle.« Erneut betrachtete sie die Leiche. »Was ... was hat er mit ihren Armen und Beinen gemacht?«
»Gebrochen«, sagte Phil und bemühte sich, so neutral wie möglich zu klingen, allerdings gelang es ihm nicht, den Ekel herunterzuschlucken, den er empfand. »Und dann ... hat er sie mit Gewichten beschwert...«
Caroline Eades' Gliedmaßen standen in unmöglichen Winkeln vom Körper ab. Verschiedene Gegenstände aus der Wohnung hielten sie an Ort und Stelle. Lexika. Eine Bodenvase. Der DVD-Recorder. Der Couchtisch.
»Oh Gott...«, flüsterte Marina wieder. »Oh Gott...«
Phil drehte sich zu ihr um und packte sie an den Schultern. Sah ihr tief in die Augen. »Marina, sieh mich an.«
»Aber ich ... ich kenne sie ...«
Anni wandte überrascht den Kopf.
»Was? Woher?«, wollte Phil wissen.
»O mein Gott...«
»Woher?«, fragte Phil ein zweites Mal, und seine Stimme war sanft und bestimmt zugleich.
»Vom Yoga ... sie war in meinem Yogakurs ... sie ... sie wollte mit mir einen Kaffee trinken gehen ...«
Phil musste dafür sorgen, dass Marina sich zusammenriss. Er durfte sie nicht ihren Gefühlen überlassen. »Marina, das ist furchtbar. Schrecklich. Aber du musst dich jetzt konzentrieren. Vergiss für den Moment, dass du sie kanntest, und konzentrier dich. Ich möchte wissen, was du siehst.« Seine Stimme war ruhig und fest. »Sag mir, was du siehst.«
Sie sah flüchtig zur Leiche hin, dann huschte ihr Blick zurück zu Phil. Ihre Unterlippe bebte.
»Erzähl mir, was Marina Esposito, die Psychologin, sieht. Was könnte uns helfen, den Täter zu fassen?«, sagte er eindringlich. »Schau noch mal hin. Ganz genau. Sag mir, was du siehst.«
Sie holte tief Luft und wappnete sich. Betrachtete die Leiche noch einmal. Sie versuchte, die Szene leidenschaftslos zu betrachten, aus rein wissenschaftlichem Blickwinkel. Ihre Gefühle beiseitezuschieben und analytisch vorzugehen. Die langen Jahre des Theoriestudiums in die Praxis umzusetzen.
»Er ist... ich sage er, dabei weiß ich gar nicht genau ...«Sie schüttelte den Kopf. »Ich belasse es für den Moment dabei. Der Täter ist durch die Haustür hereingekommen, sie ... hat geöffnet, er wollte sie zum Schweigen bringen. Vielleicht hat sie angefangen zu schreien, wie Anni sagte ... vielleicht wollte er aber auch einfach nur kein Risiko eingehen. Also hat er schnell gehandelt. Er ... er ist in Eile. Gibt es so etwas wie einen Zeitplan? Will er, dass es rasch vorbei ist?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein.«
Ein weiterer Blick auf die Leiche am Boden, die blutbefleckten Wände. »Er ist hier, weil er ein konkretes Ziel verfolgt. Er will das Baby. Er hat keine Zeit, sich mit anderen Dingen aufzuhalten. Er steigert sich immer weiter in seine Taten hinein. Sein Vorgehen ist noch brutaler geworden, weniger fokussiert.«
Dann tat sie etwas, von dem sie niemals gedacht hätte, dass sie dazu fähig wäre. Sie ging vor der Leiche in die Hocke und studierte die Bauchwunde. »Er hat gewusst, was er tat. Das hier ist ein präziser, kontrollierter Schnitt, keine Anzeichen von Hast oder Raserei. Ganz anders als der Rest.«
Sie betrachtete die anderen Verletzungen des Opfers. »Er hatte keine Zeit, sie zu fesseln, wie er es bei Claire Fielding getan hat. Die Fesseln, die gespreizten Beine. Ich wette, er hat ihr auch keine Drogen verabreicht. Vielleicht hatte er keine mehr. Seine Vorräte waren aufgebraucht.« Ein erneuter Blick. »Oder aber er will sie gar nicht mehr benutzen. Vielleicht ist er auf den Geschmack gekommen. Er macht einen Job, aber es fängt an, ihm Spaß zu machen. Großen Spaß ...«
Sie prüfte die Position der Leiche. »Okay. Er drückt sie also zu Boden ...«, so stellte sie es sich vor, »gibt sich damit aber nicht zufrieden, also zerschmettert er ihr die Arme und Beine. Sie kann nicht entkommen. Dann ... er will, dass sie ruhig liegen bleibt. Keine Drogen, also muss er improvisieren. Sucht nach Gegenständen, mit denen er sie am Boden festhalten kann. Dann macht er sich an die Arbeit.«
»Was sagt uns das?«, wollte
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