Entrissen
immer weiter verbessern. Man war nie zu alt, um etwas Neues zu lernen. Außerdem war er ein guter Jäger. Und es bereitete ihm Freude, Dinge zu tun, die er gut konnte.
Seine Beute hatte keine Ahnung, dass er sie beobachtete. Die Vorstellung gefiel ihm. Einen Plan auszubrüten, von dem seine Beute nicht das Geringste wusste. Hier im Dunkeln zu sitzen und sie zu beobachten - das erfüllte ihn mit einem unvergleichlichen Gefühl. Daher kam seine Macht. Seine ungeheure Macht. Bei dem Gedanken daran spürte er, wie er eine Erektion bekam. Eine animalische Lust regte sich in ihm.
Die Aufgabe war knifflig. Aber darüber machte er sich keine Sorgen. Jeder Fall brachte seine ganz eigenen Probleme mit sich. Alles, was er tun musste, war, den besten Weg zu finden, diese Probleme zu lösen. Sie waren bloß Hindernisse auf seinem Weg zum Ziel. Und Hindernisse konnte man überwinden.
Diesmal war alles eine Frage des Blickwinkels. Das Wohnviertel war offen und von überall gut einsehbar. Wenn er am Straßenrand saß und sie beobachtete, würde man ihn sehen. Er kannte die Sorte Mensch, die hier wohnte. Sah man nicht so aus wie sie, war das für sie sofort ein Anlass, die Polizei zu alarmieren. Er musste vorsichtig sein. Schlau.
Er hatte sein Auto vor dem Eingang zur Siedlung abgestellt und war zu Fuß weitergegangen. Er hatte sich bis zum Haus gegenüber geschlichen und sich dort im Schatten auf die Lauer gelegt. Es war ganz einfach gewesen. Kinderleicht. In allen Einfahrten standen riesige Plastikmülltonnen und große Autos, in einigen sogar Container mit Bauschutt. Verstecke gab es also genügend. Niemandem würde etwas Ungewöhnliches auffallen. Nichts, weswegen man sich beunruhigen musste. Niemand würde ihn bemerken.
Er beobachtete das Haus. Sie war von einem Zimmer ins nächste gegangen, rastlos, als könne sie keine Ruhe finden. Als hätte sie Angst, dass sie vergessen würde, wie die Räume aussahen, wenn sie zu lange weg war. Und sie war den ganzen Abend über allein gewesen. Ihr Mann kam jeden Tag später nach Hause. Als wollte er so wenig Zeit wie möglich mit ihr verbringen.
Tja. Bald würde er gar keine Zeit mehr mit ihr verbringen müssen.
Sie würde ihm gehören. Zumindest der Teil von ihr, auf den er es abgesehen hatte.
Lichtkegel am Ende der Straße. Ein Auto, das um die Kurve kam.
Er blieb vollkommen regungslos sitzen, den Kopf gesenkt, damit die Scheinwerfer nicht das Weiße seiner Augen einfingen. So wartete er ab, bis es an ihm vorbeigefahren war. Es wurde langsamer und hielt schließlich an. Bog in die Einfahrt des Hauses gegenüber.
Der Ehemann war heimgekommen.
Der Motor wurde abgestellt, und die Scheinwerfer erloschen. Der Mann nahm einen Aktenkoffer vom Beifahrersitz und stieg aus. Langsam, als sträube er sich innerlich dagegen, ging er auf das Haus zu. Trat ein. Schloss die Tür hinter sich.
Er stand auf und schlüpfte aus dem Schatten zurück auf die Straße. Für heute Abend hatte er genug gesehen. Es war Zeit, sich auf den Rückweg zu machen. Er hatte noch einiges zu erledigen. Pflichten zu erfüllen.
Aber er würde wiederkommen.
Schon sehr bald.
26
»Nicht hier. Um die Ecke. Sonst könnte er was mitkriegen.«
Clayton, der automatisch auf die Bremse getreten hatte, gab jetzt wieder Gas. Er fuhr an dem Haus vorbei, das Sophie zusammen mit Brotherton bewohnte, bog ab und parkte ein Stück die Straße hinunter. Er schaltete die Scheinwerfer aus.
Highwoods war ein reines Wohnviertel mit einem gigantischen Tesco-Supermarkt im Zentrum. Die meisten Häuser waren großzügig geschnitten, aber die von Lorbeerhecken umgebenen Grundstücke lagen so dicht beieinander, dass trotzdem alles sehr beengt wirkte.
Clayton sah Sophie an. Ihre Züge wurden durch die Innenbeleuchtung des Wagens schwach angestrahlt. »Wie kommst du denn normalerweise vom Fitnessstudio nach Hause?«, fragte er.
»Taxi. Oder ich nehme den Wagen. Manchmal treffe ich mich auch mit einer Freundin und wir gehen noch was trinken.«
»Ich wette, das passt ihm gar nicht.«
Sie bedachte Clayton mit einem Lächeln, das er nicht deuten konnte. »Ihm wäre es lieber, wenn ich sie mit nach Hause bringen würde.«
»Damit er dich im Auge behalten kann.«
Sophie nickte und lächelte finster. »Genau so ist es. Das ist der Grund, weshalb die meisten meiner Freundinnen mich inzwischen nur noch in der Stadt treffen wollen.« Clayton schwieg.
»Ich will damit nicht sagen, dass mir die Aufmerksamkeit nicht gefällt. Es ist
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