Entrissen
Schmunzeln nicht verkneifen. »Das ist beruhigend.«
Marina wurde rot. »Du weißt genau, was ich meine«, erwiderte sie und versuchte, ihre glühenden Wangen vor ihm zu verbergen.
»Okay. Es ist also nicht Brotherton?«
»Ich glaube nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Er passt nicht. Aber ... man kann nie wissen. Vielleicht liege ich falsch. Auch das soll schon vorgekommen sein.«
»Nicht soweit ich mich erinnern kann.«
»Charmeur.«
Erneut sah sie ihn an, und wieder war da diese Anziehung. Sie lächelte, und ihre Züge wurden weicher. Die Anspannung wich aus ihrem Körper, und ihre Augen begannen zu strahlen, als sei plötzlich in ihrem Innern ein Licht angegangen. Dieses Licht hatte Phil lange nicht mehr gesehen.
Er machte einen Schritt auf sie zu.
»Marina. Ich habe ...«
Mit einem Schlag war das Licht erloschen. Die Anspannung war wieder da, wie eine unsichtbare Wand, die sie zwischen ihnen aufrichtete.
»Phil, bitte«, sagte sie. Ihre Stimme war fest, aber nicht unfreundlich. »Bitte nicht.«
»Aber ...«
»Lass es einfach. Bitte.«
Phil spürte, wie sich Verzweiflung in ihm breitmachte. Er musste etwas sagen, ob sie ihm das nun gestattete oder nicht. »Hör zu, Marina. Das geht jetzt schon seit Monaten so. Du -«
»Phil, lass es gut sein. Ich kann jetzt nicht darüber sprechen. Bitte.«
»Aber ...«
»Nein. Wir können - ich kann das jetzt nicht diskutieren.«
»Warum nicht?«
»Weil ...« Sie zog den Mantel enger um sich.
Noch eine Wand,
dachte Phil.
Noch ein Schutzschild.
»Es geht einfach nicht. Nicht im Moment.«
»Wann denn dann?«
»Wir werden über alles reden«, versuchte sie ihn zu beschwichtigen. »Aber nicht jetzt. Du wirst dich noch eine Weile gedulden müssen.«
»Wie lange?«
»Bis ich bereit dazu bin.«
Phil sah sie an. Sie irritierte, war ein Kontrollfreak, hatte eine große Klappe und war arrogant. Er seufzte. Und sie war geistreich, warmherzig und wunderschön. An dem, was er für sie empfand, hatte sich nichts geändert. Er sagte nichts, sondern nickte bloß. In gewisser Weise konnte er ihr ihr Verhalten nicht verübeln.
Um nicht weiter über sie nachdenken zu müssen, sah er sich erneut in der Wohnung um. »An Tatorten fühle ich mich immer irgendwie einsam«, meinte er unvermittelt.
Marina musterte ihn verwundert.
Die Worte hatten ihn selbst überrascht. Der Gedanke war ihm erst klar geworden, nachdem er ihn ausgesprochen hatte. Er zögerte kurz, unsicher, warum er überhaupt weitersprach, dann fuhr er fort. »Ja«, sagte er und ließ seinen Blick durch den Raum wandern. »Es ist immer so bedrückend. Ich meine, abgesehen vom Offensichtlichen.«
Marina schien dankbar für den Themenwechsel und ließ sich bereitwillig darauf ein. »Inwiefern?«
»Na ja ...« Mit einem Mal wollte er nicht mehr darüber reden. Aber wenn es jemanden gab, mit dem er Persönliches austauschen konnte, dann Marina. Wie auch immer die Dinge sonst zwischen ihnen standen. »Es ist wie ... ein Bürogebäude nach Feierabend, wenn kein Angestellter mehr da ist. Oder ... ein Theater, wenn das Stück aus ist und alle nach Hause gegangen sind.«
»Seit wann gehst du denn ins Theater?«
Er wurde rot. »Du weißt eben nicht alles über mich.«
»Sieht ganz so aus.«
»Aber es ist wirklich so«, beharrte er. »Du weißt schon, wenn im Theater nach dem Stück die Bühnenbeleuchtung ausgeschaltet wird und das Saallicht wieder angeht. Das ist trostlos. Irgendwie deprimierend. Alles, was den Ort mit Leben erfüllt hat, ist weg - das Stück, die Schauspieler, das Publikum. Nur man selbst ist noch da, obwohl man eigentlich mit den anderen nach Hause hätte gehen sollen. Aber stattdessen muss man bleiben, ganz allein, und seine Arbeit machen.«
Marina sah ihn an und nickte unmerklich. »Ich weiß, was du meinst«, sagte sie.
Er nickte ebenfalls, wobei er sich fragte, ob sie ihn wirklich verstand. Und ob er wirklich bloß über Tatorte gesprochen hatte.
»Ich glaube, ich habe für heute genug gesehen«, meinte sie dann. »Würde es dir etwas ausmachen, mich nach Hause zu fahren, oder soll ich mir ein Taxi rufen?«
»Ich fahre dich.«
Er schaltete das Licht aus, und sie traten auf den Flur hinaus.
Die Wohnung lag dunkel und verlassen da. Ein Bühnenbild ohne Schauspieler.
25
Er war wieder auf der Jagd.
Eigentlich war es gar nicht nötig. Noch nicht. Aber es war gut vorauszuplanen. Es war sogar von elementarer Wichtigkeit. Und er musste trainieren. Seine Fähigkeiten verfeinern. Sich
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